Dienstag, 21. Oktober 2025

Berlinreise (1): Vom Botanischen Garten oder: Die Viktoria-Seerose ist ein Märchen


Ach, werden Sie sagen, jetzt ist der schon wieder vereist, ist der eigentlich nie daheim, hat der immer Urlaub? Sie vergessen vielleicht, dass schon wieder Zeit vergangen ist, und Sie vergessen eines: Die Tournee nach Tschechien und Polen war kein Urlaub, auch wenn es schön war, eine Konzertreise mit 70 Sängern und sechs Konzerten ist Arbeit.
Nun aber waren wir eine Woche in Berlin, und da will ich Sie doch ein bisschen teilhaben lassen. Heute wird es um den Botanischen Garten gehen.

Zum Botanischen Garten habe ich eine besondere Beziehung. Meine Mutter wuchs in Lichterfelde in der Tulpenstrasse auf (in der Nähe des Parkes heissen alle Strassen nach Blumen) und der Botanische Garten war eines der wichtigsten Spaziergangziele – wenn Grosspapa vom Büro nach Hause kam, dann war immer eine Stunde Spaziergang angesagt. Aber auch wenn man mit S-Bahn wegfuhr, dann war «Botanischer Garten» der nächste S-Bahn-Bahnhof.

Ich war sicher in meiner Kindheit etliche Male im Hortus Botanicus, ich kann mich aber daran nicht mehr erinnern. Im 21. Jahrhundert war ich dreimal dort, einmal mit meinem Ex (merkwürdigerweise kann er sich nicht mehr an diesen Besuch erinnern...), zweimal mit meinem jetzigen Partner.

Beim ersten Mal gingen wir durch den ganzen Park inklusive Gewächshäuser – nur die Attraktion der Einrichtung, der Star der Truppe, die Schönheit schlechthin war nicht zu sehen, weil ihr Bassin leckte: Victoria cruziana, die Riesenseerose, auf deren Blättern ein Kleinkind sitzen kann.

Beim zweiten Male kamen wir nicht weit, von der Tulpenstrasse herkommend, kamen wir bis zu den Absperrungen, die niemand zu den Gewächshäusern liessen, wir gingen dann einmal um den Teich, um dann im wunderbaren «Landhaus» Aprikosenkuchen zu essen. Natürlich sahen wir auch jenes Mal die Attraktion der Einrichtung, der Star der Truppe, die Schönheit schlechthin nicht.

Dieses Mal freuten wir uns aufs Landhaus und den Aprikosenkuchen, der, da wir vom Königin-Luise-Platz ausgingen, der Endpunkt sein sollte. Das Restaurant war aber geschlossen, wir machten dann im Café Viktoria im Gewächshaus eine Pause, auch dort war der Kuchen (nicht Aprikose, sondern Zwetschge) herrlich – liegt wahrscheinlich daran, dass die Beizen vom gleichen Mensch betrieben werden. Und die Attraktion der Einrichtung, der Star der Truppe, die Schönheit schlechthin? War auch im Oktober 2025 abgeriegelt, wieder leckte ein Becken.

Fazit:
Bitteres Fazit:
Die Attraktion der Einrichtung, der Star der Truppe, die Schönheit schlechthin, die Riesenseerose Victoria cruziana mit ihren 3 Meter durchmessenden Blättern, die 100 Pfund tragen, sie existiert nicht.
Es ist ein Fake.
Eine Lüge.
Alle Menschen, die behaupten, sie gesehen zu haben, lügen. Sie lügen so, wie die Tausenden von Touristen, die auf der Wartburg den Lutherschen Tintenfleck gesehen haben wollen. Den es ja auch nicht gibt.

Aber die Wahnsinns-Kakteen, die herrlichen Farben der Blumen, all das Grün und Oliv, das alles ist ja auch ganz schön.
Heiter waren für uns noch zwei Schilder. Das erste prangte im Gewächshaus:

BITTE SETZEN SIE KEINE HAUSTIERE IN DEN GEWÄCHSHÄUSERN AUS

Anscheinend kommt es ständig vor, dass Besucher ihre Wellensittiche, ihre Schildkröten, Zierfische und Reptilien einfach irgendwo im Botanischen Garten lassen. Sie haben das Gefühl, dass ihre inzwischen ungewollten und ungeliebten Lieblinge dort in Steglitz ganz gut passen würden. Was man nicht bedenkt, sie finden meist keine Nahrung, und das Klima stimmt auch nicht immer, die Tiere gehen erbarmungslos ein. Es schon absurd, auf was für Ideen die Menschheit kommt...

Das zweite Schild, war noch skurriler. Auf einer Fussgängerbrücke über den Amerika-Teich war zu lesen:

!!!!!!!!
AUF DER BRÜCKE MAX. 10 PERSONEN ZULÄSSIG
---------
MAX. 10 PERSONS ALLOWED ON THE BRIDGE

Oh, armes Deutschland, wenn nun auch die Fussgängerstege marode sind und die Belastung begrenzt werden muss. Später diskutierten wir dann noch die Frage, wie man feststellt, wenn die Brücke kracht und die Versicherung nicht zahlt, WER die 11. Person war...

Insgesamt muss man aber sagen, der Botanische Garten ist einer der schönsten im deutschsprachigen Raum und ein absolutes Muss. Gehen Sie hin! Besuchen Sie ihn! Aber erzählen Sie mir nicht, Sie hätten die Seerose gesehen...

So viel für heute, am Freitag die zweite Ladung.


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