«Stich mich mit einem Messer ins Herz, das tut nicht so weh.» Dieser wunderbare Satz stammt aus der herrlichen Serie Golden Girls und findet immer dann Verwendung, wenn das Gegenüber in einen heiklen Fettnapf gesprungen ist.
Wenn man zum Beispiel Helga, die immer am Stricken ist und ihre Kreationen auch selber entwirft, die stets mit Wollknäuel und Nadeln anzutreffen ist und himmlische Pullis im Mondrian-Stil und Kappen im Pollock-Look zaubert, wenn man also Helga fragt, ob dieser Pulli oder diese Kappe von C&A oder aus der MANOR sei, dann seufzt sie: «Stich mich mit einem Messer ins Herz, das tut nicht so weh.»
Wenn man Robi, den grossen Hobbybäcker, Robi, der tage- und nächtelang in seiner Küche hantiert und dort Brand-, Mürb-, Rühr-, Hefe- oder Biskuitteig vorbereitet und aus Brand-, Mürb-, Rühr-, Hefe- oder Biskuitteig die göttlichsten Kreationen macht, Schokotrüffeltorten und Vierobstwähen und solche Dinge, wenn man nun also diesen Robi fragt, ob er Backmischungen verwende, dann stöhnt er: «Stich mich mit einem Messer ins Herz, das tut nicht so weh.»
Und genauso schreit auch Janina, die grosse Velofahrerin, Janina, die jede Etappe der Tour de Suisse nicht mit- aber nachgefahren ist, Janina, die wie ein Blitz den Gotthard hochrast, wenn man im Zusammenhang mit ihr das Wort E-Bike verwendet. (Das E-Bike ist laut Alex Capus die Vorstufe zum Rollator…)
Genauso entsetzt ruft auch Peter, der seit 40 Jahren Menschen durchs Emmental führt, den Menschen alles zeigt und sie auf die Naturschönheiten aufmerksam macht, Peter, der im Schlafe einen Plan von Trubschachen oder Langnau zeichnen könnte, der jedes Bächlein dort am Klang erkennt, wenn man ihn fragt, ob er Google Maps® verwende…
«Stich mich mit einem Messer ins Herz, das tut nicht so weh.»
Und genauso habe ich gestern geschrien, als mein Nachbar mich fragte, ob meine Posts von ChatGTP geschrieben würden.
«Stich mich mit einem Messer ins Herz, das tut nicht so weh.»
Genauso wie eine Handarbeit-Fanatikerin nicht bei H&M oder C&A oder D&G oder sonstwo kauft, so wie ein Hobbybäcker keine Backmischung verwendet, so wie eine Bikerin kein E-Bike fährt und ein Naturkenner die Karte im Kopf, so benutze ich kein ChatGPT.
Ich will mich jetzt gar nicht auf die Diskussion einlassen, ob diese App vernünftige Texte macht.
Sondern ich stelle mir die Frage, warum so viele Menschen jetzt jubeln, dass dieses Programm ihnen das Schreiben abnimmt.
Begreifen zum Beispiel Schülerinnen und Schüler nicht, weshalb man ihnen die Aufgabe «Schreibe einen Text über die Weimarer Republik im Jahre 1922, 4 Seiten» stellt? Man tut es ja nicht, weil man einen Text über die Weimarer Republik im Jahre 1922 braucht, man tut es nicht, weil es noch keine Texte über die Weimarer Republik im Jahre 1922 gibt. Natürlich gibt es die. Man stellt den Schülerinnen und Schülern auch nicht diese Aufgabe, um sie zu quälen oder zu foltern. Nein, sie sollen lernen, sie sollen lernen zu lesen, zu verstehen, zu denken, sie sollen lernen zu recherchieren und zusammenzufassen, dann lernen einen guten Text zu schreiben. So blöde es klingt: Der alte Spruch vom NON SCHOLAE SED VITAE DISCIMUS kommt hier voll zur Geltung. Und der Lerneffekt ist eben gleich Null, wenn ChatGPT für dich liest, denkt, zusammenfasst und schreibt.
Ich fände es aus einem anderen Grunde grauenhaft, wenn ich nicht selber schriebe: Ich schreibe wahnsinnig gern. Ich würde mir ja ein Hobby kaputtmachen, wenn ich ChatGPT an meine Glossen liesse. Schreiben ist kreativ, Schreiben regt an, Schreiben macht froh. Wir lassen ja auch keinen Roboter für uns ins Fitnessstudio gehen.
Sehen Sie.
Abgesehen davon: Manchmal kann die App auch schön danebenliegen. Ein befreundeter Musiker liess ChatGPT an das Thema «Verbot von Quintparallelen».
Das kam heraus:
Quintparallelen sind in Deutschland nicht verboten. Es gibt jedoch Regeln, die den Einsatz von Quintparallelen einschränken oder verbieten können, z. B. im Strassenverkehr.
«Stich mich mit einem Messer ins Herz, das tut nicht so weh.» Dieser wunderbare Satz aus jener herrlichen Serie findet immer dann Verwendung, wenn das Gegenüber in einen heiklen Fettnapf gesprungen ist.
Also fragen Sie mich nie, ob mein Text von mir ist.
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