Beim Posten höre ich gerne SWR2. Ich sitze dann am Schreibtisch und schreibe am Laptop und habe gleichzeitig die Homepage des Senders geöffnet, auf der unten ein Dreieck zum Abspielen des Webradios einlädt.
Natürlich sehe ich mir dann, bevor ich auf das Dreieck klicke, die Ankündigungen und Bilder an. Und hier bleibt mein Blick heute, es ist Sonntag, der 15. Januar, auf einem Foto hängen, das mich schaudern macht: Diese starren Augen … diese roten Haare … dieser Bart … ja, er ist es wirklich. Er ist es, und das kann ja wirklich nicht sein.
Das Magazin «Lesenswert» präsentiert sechs Bücher bzw. wird präsentieren, es ist erst 16.31:
Driss Chaibi: Die Zivilisation, Mutter
Annie Ernaux: Der junge Mann
Prinz Harry: Reserve
Shelly Kupferberg: Isidor
Raphaela Edelbauer: Die Inkommensurablen
Susanne Klingenstein: Es kann nicht jeder ein Gelehrter sein
Darunter steht der Spruch:
Seele, Sex und Silberbesteck – Neue Bücher mit ohne Prinz
Nein.
Nein.
Nein und nochmals nein.
Wie tief kann ein Sender sinken, der immerhin das Wort «Kultur» ständig im Munde führt? Bei dem studierte und promovierte Geisteswissenschaftler für ein Schweinehonorar an Schreibtischen sitzen und denken? Der ja die Donaueschinger Musiktage und die Schwetzinger Festspiele ins Leben rief? Ein Sender, den ich seit vielen Jahren schätze? Ist das möglich?
Die Memoiren von Immer-Ärger-Harry gehören nicht in dieses Umfeld. Immerhin wurde das Buch, das vor seinem besprochen wird, von einer Nobelpreisträgerin geschrieben.
Ich versuche mich zu erinnern: War es schon einmal so, dass von sechs Neuerscheinungen fünf hochwertig und eines ein Witz war, so quasi als Satyrspiel, als Gag, als Aufheiterung? So nach dem Motto «zwischen Adorno und Horkheimer bringen wir noch ein bisschen Simmel» oder «nach dem Grass kommt dann noch als Dessert eine Gabi Hauptmann»? Nein, an «zwischen Adorno und Horkheimer bringen wir noch ein bisschen Simmel» oder «nach dem Grass kommt dann noch als Dessert eine Gabi Hauptmann» kann ich mich nicht erinnern.
Aber wenn das noch nie gemacht wurde, warum dann jetzt?
Natürlich, ich tue hier wahrscheinlich jemand Unrecht. Denn unten steht in der Beschreibung der Sendung zu jenem Beitrag:
Das Buch, das dem Buchhandel schon jetzt das Jahresgeschäft rettet: "Reserve" von Prinz Harry. Ein literaturkritischer Einwurf.
Aha.
Es wird literaturkritisch.
Und es ist nur ein «Einwurf».
Nun ja…
Aber: Es spielt hier überhaupt keine Rolle, was zu diesem Buch gesagt wird.
Wir wissen ja: Auf dem Buchmarkt ist es völlig wurscht, ob ein Buch vernichtet, verrissen und zerstampft wird. Entscheidend ist, ob es an prominenter Stelle vernichtet, verrissen und zerstampft wird. Ob es zum Beispiel im Plönersee-Funk vernichtet, verrissen und zerstampft wird, oder eben in einem Kultursender.
Früher war das Wichtigste und Schönste für eine Autorin oder einen Autor, dass RR sich dem Buche persönlich annahm. Es war dabei total egal, ob RR den Text gut oder schlecht fand. Es war wichtig, dass RR vernichtete, verriss und zerstampfte und nicht sein Praktikant. Ein Verriss von RR auf Seite 1 des Feuilletons der FAZ war ein Ritterschlag, eine Lobeshymne auf Seite 4 des Feuilletons der Plöner Zeitung war nett, brachte aber nix.
Lieber SWR2,
ich bin so was von entsetzt.
Ihr adelt das Buch, einfach weil ihr es nicht ignoriert. Und weil ihr es in einer Sendung mit Ernaux bringt.
Das geht gar nicht.
Beim Posten höre ich gerne SWR2. Ich sitze dann am Schreibtisch und schreibe am Laptop und habe gleichzeitig die Homepage des Senders geöffnet, auf der unten ein Dreieck zum Abspielen des Webradios einlädt.
Natürlich sehe ich mir dann, bevor ich auf das Dreieck klicke, die Ankündigungen und Bilder an. Und hier bleibt mein Blick heute, es ist Sonntag, der 15. Januar, auf einem Foto hängen, das mich schaudern macht: Diese starren Augen … diese roten Haare … dieser Bart … ja, er ist es wirklich. Er ist es, und das kann ja wirklich nicht sein.
Und nun ist es bald 17.00 und das Magazin «Lesenswert» wird kommen.
Und ich werde auf irgendeinen privaten Schund-Funk umschalten. Da regt mich «Reserve» nicht so auf.
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