Dienstag, 8. November 2022

Unbestechlich schon in der Sandkiste

Liebe Leserin, lieber Leser

Wissen Sie, was ein «Interessenkonflikt» ist?
Ja?
Wenn nicht, hier ist das, was Wikipedia dazu sagt:

Der Interessenkonflikt (auch Interessenskonflikt oder Interessenkollision) ist ein Konflikt, der durch das Zusammentreffen gegensätzlicher Interessen in einer Person entsteht, die ihren Ursprung im unterschiedlichen Status dieser Person haben.
Einerseits hat die Person aus vertraglichen, gesetzlichen oder moralischen Gründen die Interessen eines Anderen zu wahren; andererseits ist sie zugleich Privatperson mit eigenen Interessen oder befindet sich in einem weiteren Verhältnis zur Wahrung von Fremdinteressen, aufgrund dessen sie kollidierende Fremdinteressen zu wahren hat. „Interesse wahren“ heißt, dass die Person Entscheidungen treffen muss, um eigenes Interesse oder Fremdinteresse durchzusetzen.

Ein klassisches Beispiel ist sicher jener Richter, der einen Angeklagten verurteilen soll, obwohl er weiss, dass dieser unschuldig ist. Nicht jener hat den Gegenstand kaputtgemacht, sondern der Richter selber. Jeder kennt den Stoff: Der Zerbrochene Krug von Heinrich von Kleist. Ich habe übrigens das Stück sehr früh in meinem Leben im wunderbaren Theater der Altstadt in Stuttgart gesehen, und die Vorstellung war – das möchte ich in Anlehnung an den wunderbaren Text Alte Meister von Thomas Bernhard sagen – NICHT entsetzlich gewesen, sondern sehr gut.

Eine andere Art von Interessenkonflikt stellt sich jedem Schulleiter: Das Unterrichten der eigenen Kinder. Es wäre ja schon sinnvoll, dass die eigenen Kinder gar nicht auf dieselbe Schule gehen, also die Schule, wo die Eltern unterrichten, aber häufig ist das nicht möglich. Gar nicht möglich ist es im Grundschulbereich (in der Schweiz sogar bis Sek I), wenn man als Lehrer am Arbeitsort wohnt, aber auch im gymnasialen Bereich kann es vorkommen. Wenn das nächste Gymi in der Kreisstadt ist, dann werden die Kinder eben auch dort hingehen, wo Vater und Mutter lehren.
Also muss man beim Einteilen aufpassen, dass es zu diesem Konflikt nicht kommt. Wenn Marco in die 5C geht, dann hat Papa Uli die 5C nicht in Englisch, sondern die 5B und wenn Sara in die 8E geht, dann hat Mama Lisa eben nicht die 8E in Deutsch, sondern die 8F.
Spannend ist ja, dass meistens, wenn man das Zusammentreffen nicht verhindert, die Lehrer- und Lehrerinnenkinder nicht milder, sondern strenger als die Klassenkollegen benotet werden – damit es ja nicht heisst, man wäre…

So.
So einfach und so gut.
Man versucht Interessenkonflikte zu vermeiden. Bei den Juristen gibt es Befangenheit und bei den Lehrern sinnvolle Pensen. Und wenn man jemand zum Schöpfen von leckeren Spaghetti Bolognese sucht, dann nimmt man einen Vegetarier (oder eine mit Zöliakie) – die haben eh ihren Extratopf. Und der Polizist, der die Parksünder aufschreiben muss, tut das nicht im eigenen Quartier.

Nein.
So kompliziert und so schlecht – zwei bis drei bis vier Ebenen oberhalb.
Denn je weiter man in die höheren Höhen der Gesellschaft und der Politik heraufsieht, umso mehr wimmelt es von Interessenkonflikten.
Und niemand hat ein Problem damit.

Wollen Sie ein Beispiel?
Da gibt es den Förderkreis Deutsches Heer e.V. und die Deutschen Wehrtechnischen Gesellschaft e.V., beide als Vereine getarnte Lobby-Organisationen der Rüstungsindustrie, aber das ist ok so, jede Industrie darf Lobbyarbeit betreiben, darf versuchen, eigene Produkte zu vermarkten. Nun ist aber eine nette ältere Dame Mitglied in beiden (!) Clubs und diese nette ältere Dame ist nun auch noch Vorsitzende (!) des Verteidigungsausschuss des Bundestages: Agnes Strack-Zimmermann. Ein Zusammentreffen, das nun gar nicht geht. Aber ASZ scheint damit kein Problem zu haben, ja sie tut alle Einwände – zum Beispiel die von LOBBYCONTROL – als geradezu abstrus ab:
«Ich war unbestechlich schon in der Sandkiste.»

«Ich war unbestechlich schon in der Sandkiste.» Lassen Sie sich diesen Ausspruch mal auf der Zunge zergehen.
Erst einmal: ich glaube das nicht, das wäre unmenschlich, und wenn ASZ nicht doch – wie einige behaupten – eine Androidin ist, dann hat man sie sicher mit Schokolade oder Eis oder beidem oder noch mehr von der Rutschbahn (auf die ihre Kusine wollte) zur Schaukel locken können.
Aber zweitens: Vielleicht waren Ärsche wie Berlusconi oder Blattner oder irgendein Oligarch auch in der Sandkiste unbestechlich. Liebe ASZ, deine Sandkistenzeit ist 60 Jahre (!) her, da warst du vielleicht unbestechlich, aber wer sagt uns, dass du es NOCH bist?

Nein.
Auf der Regierungs- und Staatsebene wimmelt es so von Interessenkonflikten, dass einem schwindlig werden kann. Und alle sind irgendwie sind alle Übermenschen, Heilige und Götter. Alle unbestechlich und über der Sache stehend seit der Sandkiste.

Und so wird Papa Uli, der nun doch seinen Sohn in der 5C unterrichtet, sagen:
«Ich war unbestechlich schon in der Sandkiste.»









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