In den 70er Jahren war es praktisch unmöglich, von einer Grossstadt (wie zum Beispiel Stuttgart) in ein Dorf wie Bupfingen an der Bupf zu kommen.
Nein.
Das ist jetzt falsch gesagt, es war unmöglich, wenn man so verrückt war, kein Auto zu besitzen – mein Eltern waren so wahnsinnig (oder frühe Umweltschützer?).
Eine weitere Frage ist natürlich, was wir in Bupfingen an der Bupf wollten. Entweder hatten wir Verwandte (und waren so verrückt, diese nicht in die Grossstadt zu beordern) oder wir wollten wandern – da wir kein Auto hatten, mussten wir keine vorgegebenen Rundwanderungen machen, sondern konnten die schönsten Strecken des Mittleren Neckartales, des Schwäbischen Waldes, des Schwarzwaldes und der Schwäbischen Alb von A nach B erlaufen. Und für diese Touren in den Fluren des Mittleren Neckartales, des Schwäbischen Waldes, des Schwarzwaldes und der Schwäbischen Alb bin ich meinem Vater bis heute dankbar – aber ich schweife vom Thema ab.
Wir wollten nach Bupfingen an der Bupf.
Von der Landkarte wusste man, die nächste Zugstation war Sulzbach an der Murr. Wie man dort hinkam, sagte einem der 50 Kilo schwere Wälzer, der bei jedem Verrückten (frühen Umweltschützer) im Regal lag: Dem Kursbuch. Das Kursbuch zeigte einem auf Seite 1235 die Strecke 768 Stuttgart – Crailsheim und wann dort Züge fuhren. In Sulzbach fand man dann den kleinen Hinweis auf einen Anschluss mit dem Bus.
Zwei Fragen blieben: Wann fährt der Bus? und: Kann man beim Busfahrer lösen? Hier half ein Anruf beim Bürgermeisteramt Bupfingen, die Antwort: Ja, an einem Samstag fuhr die Firma Hilpert um 9.50 und 11.50 ab Sulzbach, und: ja, der Busfahrer verkaufte Tickets. Bingo! Zwei Neins hätten das Aus dieser Wanderung bedeutet…
Dann kamen die Verkehrsverbünde!
Die Idee eines Verkehrsverbundes war eigentlich eine tolle Sache. Jetzt konnte man einfach von Stuttgart aus jedes beliebige Ziel ansteuern und Karten im Voraus kaufen. Bupfingen an der Bupf? Kein Problem: Von der Kernzone Stuttgart aus 5 Zonen weit, Einzelticket, Tagesticket, Monatskarte, alles mit Bargeld bezahlbar.
Überall im Land sprossen nun die Verkehrsverbünde aus dem Boden, und sie waren eine wichtige Erneuerung auf dem Weg vom totalen Auto. Aber dann gab es irgendwann zu viele und sie stiessen aneinander und störten sich gegenseitig. Und tun es immer noch…
Nehmen Sie nur mich als Beispiel:
Wenn ich kein GA hätte, sondern mit Monatsabos der Verbünde arbeiten würde, bräuchte ich drei. Ja – drei! Ich startete im TNW, dem Tarifverbund Nordwestschweiz, der mich bis Tecknau bringt. Dann geht es durch den Tunnel und ich bin im Kanton Solothurn, aber Olten hängt nicht am Hauptort, sondern ist Teil des Verbundes Aarwelle, erst nach dem Umsteigen gerate ich dann in den Bereich des Verbundes libero.
Nebenbemerkung: Wer denkt sich eigentlich die blöden Namen aus? libero als Formung der Städte Bern, Solothurn und Biel ist ja noch lustig, und frei will ja jeder sein, Freiheit ist ja etwas Schönes, aber Aarwelle? Wenn man es schlampig ausspricht, ist man schnell bei A-Welle, und A- steht ja häufig für den Po, man hört also immer ein wenig Arschwelle mit.
Oder ist das vielleicht Absicht, ist man da fussballmässig gegensätzlich orientiert und dreht sich das (schon Zürifan seiende) Aargauer Publikum, wenn der Libero der YB (für deutsche Leser: das ist Bern) losrennt, um und formiert mit den Hinterteilen eine umgekehrte La-Ola, eine Aarschwelle?
Aber wir schweifen wieder furchtbar ab.
Wir hatten es von den Verbünden…
Berlin hat nun einen Geniestreich auf den Weg gebracht: Das 49 Euro-Ticket.
Das Neunundvierzigeuroticket bedeutet im Grunde genommen ja das Ende der Tarifverbundmentalität. Niemand, ja niemand hatte den Deutschen das zugetraut: Eine einfache, praktische, billige und kundenfreundliche Lösung.
Ich gebe zu, dass ich neulich über das 9 Euro-Ticket geschimpft habe. Ich nehme alles zurück. Das Neuneuroticket als Versuchsballon für das Neunundvierzigeuroticket war richtig.
Die Sache hat noch einen kleinen (aber nur ganz kleinen) Haken: Es wird Geld kosten. Und man hat noch keine Ahnung wie viel und wo. Giesskannenmässig allen Kommunen nun Subventionen auszuschütten ist sicher der falsche Weg. Denn: Wenn der Berliner mit seinem Abo nun auch in Bielefeld herumfahren kann, ist dieser Fehlbetrag für den Bielefelder Verkehrsbetrieb moBiel (schon wieder so ein Name, bei dem sich mir die Fingernägel kräuseln…) verkraftbar. Anders ist es, wenn jetzt die Bielefelder (wie die Stuttgarter, Sulzbacher, Bupfinger usw.) in Berlin herumfahren, ohne an den Automaten der BVB Geld hineinzuwerfen. Das könnte schmerzen.
Ach ja.
Es gibt noch einen zweiten Haken: Das Neunundvierzigeuroticket lohnt sich nicht für Menschen, die in Orten ohne ÖV-Verbindung wohnen. Und die gibt es immer noch. Und ich zähle hier Dörfer, in den einmal am Tag ein Bus fährt, und am Wochenende keiner, als «Ort ohne ÖV».
Aber insgesamt muss man sagen: Hut ab, Deutschland.
Wann kann man das schon sagen?
Wir machen nun viermal Pause (am 1.11. der nächste Text), denn ich gehe auf Konzertreise, da ist die Zeit zum Posten knapp. Dafür gibt es dann Impressionen aus Slowenien.
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