Es kann manchmal sehr wertvoll und nützlich sein, einen kleinen Mann im Ohr zu haben. Mein kleiner Mann, ich nenne ihn mal Eugen – natürlich eine ganz bewusste Anspielung auf das Lied vom Kleinen Mann im Ohr vom Liedermacher Ulrich Roski, der heisst nämlich dort Egon – ist nun weniger der Schalk im Nacken und der dämonische Einflüsterer, nein, Eugen weist mich auf Dinge hin, die ich nicht tun sollte und sagt mir, was ich besser liesse.
Wenn ich Scherben im Mülleimer versenke, dann spricht Eugen: „In Zeitungspapier! Willst du dir wieder in den Daumen schneiden?“ und wenn ich meine Schwimmbadkabine verlasse, raunzt er: „Schlüssel! Schlüssel! Sonst bist du ausgesperrt.“
Wenn ich im Zug schlafen möchte, zischelt Eugen: „Tasche zwischen die Beine! Sonst klaut wieder einer!“ und wenn ich barfuss den Müll rausbringen will, dann kommt es aus dem Ohr: „Schuhe! Es hat Scherben und Hundekot!“.
Neulich wollte ich einen Post über Werbung beginnen. Ich hatte mich über ein bestimmtes Plakat so geärgert, es so doof, so bescheuert, so blöd und so sinnlos gefunden, dass ich meinen Laptop schnappte und eine Datei „Werbung“ erstellte. „Stopp – stopp“, rief Eugen, „du willst doch nicht wirklich Werbung machen?“ Nein, erwiderte ich, ich wolle keine Werbung machen, ich wolle Werbung verarschen. Aber dann würde ich dennoch, so sprach Eugen, den Slogan verbreiten und damit für das Produkt werben.
„Weisst du“, so begann mein kleiner Mann im Ohr nun eine längere Rede, „bei Werbung kommt es ja nicht darauf an, ob sie intelligent ist, gerade wenn sie doof und bescheuert, blöd und sinnlos ist, bleibt sie im Gedächtnis, und wenn du sie verarscht und veräppelst, sie verhöhnst und parodierst, dann wird der Effekt nur verstärkt.
Nimm einmal an, die Firma Pieper macht Fruchtsäfte, und irgendwann erscheint ein Spot mit einem Vogel auf einem Obstbaum, der Vogel piept und eine Stimme sagt: PIEPERSAFT DER SAFT MIT DEM PIEPS. Nun kommst du auf die tolle Idee daraus „der Saft mit dem Pups“ zu machen und eventuell dazu ein Klospülungsgeräusch. Die Leute werden lachen, aber sie werden den Rückschluss zur Firma Pieper ziehen, und diejenigen, die den Piepersaft nicht kennen, werden ihn googeln…“
Nimm auch einmal an, die Firma Deisser macht Toilettenpapier, und wirbt mit dem Wortspiel Deisser – Abreissen und du kommst auf die tolle Idee, dem Wortspiel Deisser – Reissen noch das Sch… hinzuzufügen, abgesehen davon, dass dies natürlich eine schwachsinnige Sache ist, und auch soooooooo originell, kommt ja gar nicht jeder drauf, abgesehen davon, du wirst mit deinem Sch… den Link zu Deisser und Reissen setzen und Werbung für sie machen.»
„Und OTTO?“
„Otto Waalkes hat mit seinen Parodien die Werbebranche so unterstützt, dass es ein Wunder ist, dass sie ihm nicht Geld dafür gezahlt hat. Vielleicht hat sie das auch getan, das ist nicht mehr herauszufinden. Sein Sketch mit dem sprechenden Kaffee, der dann so nuschelt, dass Otto immer näher rückt und ihm der Kaffee schliesslich übers Hemd fliesst, hat Eduscho direkt in die Hände gespielt.»
«Und das Stuyvesant-Gedicht?»
«???»
«Der Udo sitzt am Lokusrand
Und raucht die Peter Stuyvesant
Und was da in den Lokus fällt,
Das ist der Duft der grossen weiten Welt.»
«Auch so ein Spottgedicht steigert den Umsatz des Produktes ungemein.»
Ach ja.
Eugen hat ja recht. In früheren Zeiten wurde sogar der Erfolg einer Werbung daran gemessen, wie viele Parodien, wie viele Spottgedichte und wie viele Verarschungen in Umlauf waren.
Ich hätte nun aber doch gerne mitgeteilt, über welche Werbung ich mich so geärgert habe. Soll ich es mit einem Rätsel tun? Umschreiben, so wie z. B. Ortsangabe + Verb des Sagens + Possessivpronomen + Heissgetränk, das wäre dann das «Hier spricht dein Kaffee», von dem wir es vorher hatten. Aber natürlich würden Sie sich dann so intensiv mit dem Spruch befassen, dass er sich ewig bei Ihnen einprägen würde, da hätte Eugen völlig recht.
Nein, es wird keinen Werbepost geben.
Mein kleiner Mann im Ohr lässt mich nicht.
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