Dienstag, 22. Juni 2021

Geschmack und Geld

Benny von Frommli, bei dem ich neulich eingeladen war, ist ein Mann mit Stil.

Wenn man seine Wohnung betritt, sieht man sofort: Hier wohnt jemand mit Geschmack, da kauft jemand seine Möbel nicht bei IKEA oder im Warenhaus, im Billigcenter oder im Riesenwohnramschladen, nein, hier finden sich Stücke aus edelsten Designgeschäften, wenn nicht gleich direkt bei Vitra Design bestellt wurde. Hier stehen der Panton-Stuhl und das Corbusier-Sofa und das Saarinen-Regal.
Im Saarinen-Regal findet man dann die edelsten Bücher: Suhrkamp, Suhrkamp, Suhrkamp, Fischer, Kiepenheuer, Manesse, Gesamtausgaben von Kafka, Musil, Hesse und Heine, Suhrkamp und etliche halbbibliophile, bibliophile und starkbibliophile Bände.
Muss ich noch erwähnen, dass es zum Aperitif einen Château de Licouron von 1998 gibt, den man nur in sehr guten Weinhandlungen bekommt? Und zum Salat einen Château de Subitant von 1987, zum Hauptgang einen Château de Busselin von 2002 und zum Dessert einen Château de Duzene von 2001?

Beim Verabschieden lobe ich Benny aufs Höchste, ich lobe seine Wohnung, lobe Panton-Stuhl und das Corbusier-Sofa und Saarinen-Regal, ich lobe seine Bücher, Suhrkamp, Fischer, Kiepenheuer, Manesse, lobe die Gesamtausgaben von Kafka, Musil, Hesse und Heine, und die etlichen halbbibliophilen, bibliophilen und starkbibliophilen Bände. Ich lobe aber auch das (wirklich köstliche) Essen, es gab Salat mit Crevetten und Orangen, Lammgigot mit Erbsen und Gratin und eine wunderbare Mousse aus weisser Schokolade, und ich lobe den Château de Licouron von 1998,den Château de Subitant von 1987, den Château de Busselin von 2002 und den Château de Duzene von 2001.

Da spricht Benny die unglaublichen, weisen und philosophischen Worte: «Weisst du, ich habe einfach Geld, da ist es auch nicht schwierig, Geschmack zu haben. Schau doch einmal: In der Vitra kann man fast nichts falsch machen, in anderen Edelmöbelhäusern auch nicht. Bei Suhrkamp und Manesse kann man nichts falsch machen. Und bei meinem Weinhändler, der ja ausschliesslich in südfranzösischen Schlössern einkauft, kann man auch nichts falsch machen. Wer kein Geld oder weniger Geld hat und dann richtig gute Sachen findet, der hat Geschmack.»

Auf der Heimfahrt denke ich lange über Bennys Worte nach.
Und ich merke immer mehr, dass er recht hat.

Stellen Sie sich zum Beispiel Hanni vor. Hanni hat kein Geld für die Vitra, sie geht auf Flohmärkte und in Brockenstuben. Und hier zeigt sich ihr untrüglicher Geschmack. Unter 50 Schüsseln, alle um die 20.--, davon einige ganz nett und einige sehr schön und 80% potthässlich, findet sie die eine, die nicht nur so exzellent zu ihrem Tisch passt, sondern sich auch als ein Original von 1925 entpuppt. Und auch der Tisch war einst vom Flohmarkt gekommen, renoviert und vom furchtbaren grünen Lack befreit, sah man erst, dass das echtes Art Déco war…

Oder nehmen Sie einen Diogenes-Leser, nehmen Sie zum Beispiel, nehmen Sie zum Beispiel, zum Beispiel… mich. In meinem Bücherregal finden sie meterlang die weissen Buchrücken der Diogenes-Romane. Nun finden Sie in jenem Verlag – im Gegensatz zu Suhrkamp – auch sehr minderwertige Romane, amerikanische Heftchenkrimis, Familienliteratur und Unterhaltungsschmöker, aber eben auch sehr, sehr gute, ein Ian McEwan wird seit Jahren für Stockholm gehandelt, eine Amélie Nothomb ist hochdekoriert und ein Dürrenmatt gehört eben auch zum Sortiment.

Horst kauft seine Weine beim DENNER oder bei ALDI, und hier gilt das Gleiche: Ein wenig auskennen muss man sich schon, man bekommt nicht automatisch einen Spitzenwein, man muss wissen, welcher Wein etwas taugt und welcher nicht. Und hier ist es nicht einmal gesagt, dass der billigste auch der schlechteste und der teuerste der beste ist, es kann sein, dass ein Primitivo für 10,89 einen Merlot für 19,79 um Längen übertrifft.

So, und nun kommt das Schöne:

Ein Benny werden Sie vielleicht nicht mehr. Wenn Sie kein Lotto spielen, schon verheiratet sind, wenn Sie kein CEO sind und auch alle Erbschaften schon gemacht sind, dann werden Sie eventuell kein Vitrakunde-Manesseleser-Châteautrinker mehr, eben weil es für einen Vitrakunde-Manesseleser-Châteautrinker Money, Zaster, Knete braucht.

Aber: Sie können noch eine Flohmarktkundin-Diogenesleserin-DENNERtrinkerin werden. (Man beachte, wie geschickt ich hier mit den Formen umgehe, um das * zu vermeiden, mal männlich, mal weiblich…) Um eine Flohmarktkundin-Diogenesleserin-DENNERtrinkerin zu werden, brauchen Sie kein Geld, Sie brauchen vor allem Zeit, um Geschmack zu entwickeln: Ist das Kästchen da wirklich von 1910 oder ein schlechtes Imitat? Angucken! Ist McCarthy so gut wie McEwan? Lesen! Wie gut ist der Weisswein aus dem Rhonetal für sagenhafte 9,99? Probieren! Als Flohmarktkundin-Diogenesleserin-DENNERtrinkerin steht Ihnen die Welt offen, Sie müssen nur etwas tun.

Und das ist vielleicht das Problem…

Benny von Frommli, bei dem ich neulich eingeladen war, ist ein Mann mit Stil.
Aber er sagt ganz philosophisch: «Weisst du, ich habe einfach Geld, da ist es auch nicht schwierig, Geschmack zu haben.»









































 

 

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