Freitag, 13. November 2020

Die total überfüllten Museen wären Corona-Hotspots



Ich bin – das habe ich vielleicht schon einmal geschrieben – ein grosser Listen-Fanatiker. Auf meinem Computer befindet sich eine To-Do-Liste, eine Geburtstagsliste, eine Monatsbilanz (Finanzen) und eine Kulturliste. In dieser Kulturliste stehen in der linken Spalte die Bücher, die ich lese, in der mittleren Ausstellungen und Museen, die ich besuche und in der rechten Konzerte, Theater und Film. Für dieses Jahr sieht die linke Spalte gut aus, 65 Bücher bis jetzt, darunter, das muss ich zugeben, auch ein paar sehr schmale, die rechte natürlich ist mager – was sollte man im April, Mai und Juni auch machen ausser ein paar schöne DVDs anschauen? Ordentlich ist die mittlere, die Museumsspalte, bis auf ein grosses Loch im Frühjahr. Im Oktober stehen da folgende Einträge:

Museum für Gegenwart: Isa Genzken / Continuously Contemporary (Neukäufe Sammlung) /
Beuys-Raum
Tinguely-Museum: Taro Izumi
Forum Würth: Dieter Roth / A bis Z (Künstlerbücher)
Historisches Museum: Zeitsprünge / Grenzfälle
Kunstmuseum Bern: El Anatsui / Sammlung

Diese Häufung hatte den Grund, dass wir nicht nach Berlin gefahren sind, wir hatten Angst, nach der Rückkehr in Quarantäne zu müssen. Inzwischen – Ironie des Schicksals – müssten wir schon an der Spree in die Abschirmung. Aber die wunderbaren Schweizer Museen haben uns vollumfänglich entschädigt.

Blöd waren nur die Wartezeiten: Vor dem Gegenwartsmuseum standen 500 Leute und wir warteten 3 Stunden, vor dem Tinguely waren es 600 und wir harrten 4 ½ Stunden aus, bis wir hineindurften. Vor dem Forum Würth bescherten uns 300 Leute 120 Minuten und vor dem Historischen Museum 200 (nur) 90. Rekord war Bern mit 1000 Wartenden und 5 stehend verbrachten Stunden.

Glauben Sie nicht?
Ok – ok – ok – ok
Es ist auch gelogen. Also, bis und mit dem dritten Absatz stimmt alles, exakt und genau. Das mit dem Warten ist Quatsch. Einzig vor dem Tinguely war eine Schlange von 20 Menschen, es war eigentlich meist gähnend leer, ausser in der platzmängelnd aufgebauten (aber sauguten) Grenzfälle-Ausstellung über die Schweiz 1933-1945, im Forum Würth waren wir dafür allein.

Insofern ist es der letzte Schwachsinn, eine himmelschreiende Absurdität, in Deutschland die Museen zu schliessen. Glaubt wirklich irgendein Virologe, man könne sich in den Pinakotheken, dem Sprengel-Museum, man könne sich in der Schirn oder dem Städel, glaubt wirklich jemand, man könne sich in der Staatsgalerie Stuttgart oder dem Gropiusbau ANSTECKEN? Kaum ein Ort ist virologisch so unbedenklich wie ein Museum. Das gilt natürlich nicht für die Hammerausstellungen, die von den Kuratoren lächelnd als «Blockbuster» bezeichnet werden, Ausstellungen wie
Rembrandt – seine letzten 20 Jahre
Pollock – das komplette Werk
Monets Seerosen
Bei der Picasso-Ausstellung im Beyeler letztes Jahr brach z.B. das Garderobensystem zusammen und man liess die Leute mit Jacken und Taschen hinein. Aber deshalb wird ja meistens eine Online-Vorbuchung gemacht, eben um solchen Ansturm ein wenig zu bündeln.
Also:
Frau Merkel, öffnen Sie die Museen. Sofort.

Nun wird jemand einwenden, dass man ja erreichen will, dass die Leute zuhause bleiben und nicht geballt auf der Strasse herumrennen. Aber selbst wenn die 30 Menschen, die an einem Werktagvormittag die Kunsthalle Mannheim besuchen, alle gleichzeitig kommen, ist es immer noch keine grosse Traube.

Und kommen Sie mir bitte nicht mit den Online-Sammlungen. Die sind ein so toller Ersatz wie eine CD für einen Konzertbesuch oder wie Kartoffelbrei aus der Packung. Die sind ein solcher Ersatz, wie ein Zoom-Meeting einer für ein reales Treffen ist oder ein Wald-Video für einen Spaziergang. Abgesehen davon, dass es Bilder gibt, bei der eine Farbe in alle Richtungen changiert und die auf dem Foto einfach NUR schwarz oder NUR rot sind, ist die Gewaltigkeit eines Gemäldes durch nichts aufzuwiegen.
Ich kannte das berühmte Mädchen mit seinem berühmten Ohrring schon lange, aber als ich im Mauritshuis in Den Haag zum ersten Male (von vielen) vor ihm stand, da verschlug es mir den Atem: DIESES Bild hatte ich noch nie gesehen.
Umgekehrt hatte ich auch den liegenden Goethe in der Campagna x-mal angeschaut, aber die Fehler, die Maler Tischbein gemacht hat, sah ich erst in live: Goethes Beine sind zu lang und zwei linke. (Ich habe übrigens im Sommer in Kassel ein Bild seines Onkels gesehen, das stimmte auch nicht, und auch das Charlotte von Kalb-Portrait seines Vetters hat Unregelmässigkeiten bei den Armen, ich glaube die hessische (weitverzweigte!) Malerfamilie konnte einfach keine Anatomie malen...)

Frau Merkel, öffnen Sie die Museen.
Und, liebe Frau Sommaruga und lieber Herr Berset, kommen Sie nicht auf die Idee, sie zu schliessen. Das wäre ein Totalschwachsinn. Ersten Ranges.



 

 

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