Beim Auspacken bekomme ich aber schon die leichte Krise. Die zirka einen halben Kubikmeter grosse Kiste enthält
eine Spielfläche 80cm x 90cm
6 Spielfiguren «Müllerbursche»
6 Spielfiguren «Jäger»
6 Spielfiguren «Müllerin»
30 Bach-Ereignis-Karten
30 Blaueblumen-Ereigniskarten
30 Mühlrad-Ereigniskarten
Zusätzlich finde ich noch eine Spielanleitung, die in ihrem Umfang meine Ausgaben von Goethes «Faust I» und Dantes «Inferno» übersteigt. Gut, das Spiel wird in Deutsch, Englisch, Französisch, Türkisch, Russisch und Chinesisch erklärt, aber auch noch die deutsche Anleitung ist ziemlich lang:
1) Sinn und Ziel des Spieles – es folgen 20 engbedruckte Seiten
2) Spielvorbereitung – es folgen 20 engbedruckte Seiten
3) Spielablauf: Die 5 Phasen mit je 8 Haupt- und 7 Teilrunden – es folgen 20 engbedruckte Seiten
4) Spielende und Gewinn – es folgen 20 engbedruckte Seiten
Und ab diesem Zeitpunkt habe ich keine Lust mehr auf das Spiel, wirklich nicht, da ist mir meine Zeit zu schade, da höre ich mir lieber den Schubert in der (immer noch) wunderbaren Aufnahme mit Fischer-Dieskau und Moore an, oder ich spiele ein paar Stücke selber.
Warum sind diese «SPIELE DES JAHRES» immer so schrecklich kompliziert? Wenn man bedenkt, dass die Mühle-Regeln auf kürzesten Raum passen:
Setzphase: Die Spieler setzen abwechselnd je einen Stein, insgesamt je neun, auf Kreuzungs- oder Eckpunkte des Brettes
Zugphase: Die Spielsteine werden gezogen, das heißt, pro Runde darf jeder Spieler einen Stein auf einen angrenzenden, freien Punkt bewegen. Kann ein Spieler keinen Stein bewegen, hat er verloren.
Endphase: Sobald ein Spieler nur noch drei Steine hat, darf er mit seinen Steinen springen, das heißt, er darf nun pro Runde mit einem Stein an einen beliebigen freien Punkt springen. Sobald ihm ein weiterer Stein abgenommen wird, hat er das Spiel verloren.
Drei Steine einer Farbe, die in einer Geraden auf Feldern nebeneinander liegen, nennt man eine „Mühle“. Wenn ein Spieler eine Mühle schließt, darf er einen beliebigen Stein des Gegners aus dem Spiel nehmen, sofern dieser Stein nicht ebenfalls Bestandteil einer Mühle ist.
Eine Recherche des Investigativ-Journalisten Peer Schmutt hat jetzt Licht in das Dunkel gebracht, und seine im «Tageswochenmonat» veröffentlichte Reportage ist wirklich erhellend, weil sie Skandalöses und Mafiöses zum Vorschein bringt:
Die Jurymitglieder, die das «SPIEL DES JAHRES» ermitteln, werden nach Stunden bezahlt.
Das heisst, das Testen, das Ausprobieren eines Spieles mit einfachen Regeln bringt ihnen wenig Kohle. Das Ausprobieren, das Testen eines komplizierten Spieles macht sie zu reichen Frauen und reichen Männern. Allein das Lesen der Regeln der «Schönen Müllerin» würde diesen Leuten schon einen satten Hunderter auf den Tisch legen…
Insofern lieben die Juryleute komplexe Spiele, Spiele, bei denen man Ewigkeiten Figuren verteilt, Ewigkeiten Karten legt oder sogar – auch das gibt es – erst einmal Zahlen unten auf die Spielsteine klebt. Solche Spiele sind geliebt – und werden dann auch meist SPIEL DES JAHRES.
Aber Otto Normalverbraucher und Lise Normalverbraucherin?
Sie werden NICHT fürs Spielen bezahlt, sondern möchten sich in ihrer knappen Freizeit bei einem netten Spiel erholen; aber sie möchten auch nicht immer nur UNO oder «Mensch, ärgere dich nicht» spielen. Aber wenn ihre knappe Freizeit durch Spielregellesen, Steine bekleben und Karten austeilen draufgeht, dann verlieren sie die Lust.
Im Spielegeschäft, habe ich eine lange Diskussion mit der Verkäuferin, denn sie weigert sich, DIE SCHÖNE MÜLLERIN zurückzunehmen.
Ihr Argument: Auf dem Deckel stehe ganz klar, dass der Karton 18 Figuren, 90 Karten und eine ausführliche Anleitung beinhalte.
Mein Argument: Es steh auch klar «7-80» Jahre.
Und ich kann mir keine Siebenjährigen vorstellen, die sich gedulden, bis Opa nach 90 Minuten das Spiel parat gemacht hat…