Wie nach jeder Reise von mir werde ich Ihnen ein bisschen berichten, werde ein wenig erzählen, und ich werde die jeweiligen Stationen nutzen, um dann eine Portion ins Allgemeine aufzuholen.
Nun, die erste Station auf der Reise war ein Dorf auf der Schwäbischen Alb. Das ist jetzt schon verkehrt, denn eigentlich war es die zweite Station. Die erste Station – ich schrieb darüber – war unsere Jugendunterkunft in Bad Wurzach. Nun kann man natürlich denken, dass das Dorf auf der Schwäbischen Alb so etwas wie ein Angewöhnungs-Szenario darstellte, denn später ging es immerhin nach Frankfurt. Und ein wenig war es auch so: Wenn man eine Woche in völliger Abgeschiedenheit verbracht hat, auf einem so einsamen ehemaligen Bauernhaus, dass sogar das Taxiunternehmen vom Nachbar Ort Bad Waldsee die Adresse kaum fand (Unterhub 1), dann ist ein Dorf mit 1000 Einwohnern schon ein Kulturschock, ein Faktor Tausend, der dann durch einen Faktor 800 abgelöst wird. Man stelle sich vor, jemand ginge vom Unterhub direkt an den Frankfurter HBF, er würde das nicht verkraften…
Der wahre Grund für die Schwäbische Alb war aber ein Verwandtenbesuch.
Die Schwäbische Alb also.
Für alle, die in den Geographiestunden immer geschwänzt haben: Die Alb liegt südlich von Stuttgart und nördlich vom Bodensee und gehört zum riesengrossen Felsengarten des Jura, der sich ja praktisch von Frankreich bis Franken erstreckt. Die Juraböden haben eine Eigenschaft: Sie sind für die Landwirtschaft nicht geeignet. Macht nix, wenn man Wanderer ist, da erfreut man sich an den typischen Wacholdersträuchen und an den Schafherden (die es für den Wacholder braucht, denn die Schafe fressen das Gras, das den Wacholder ersticken würde, ihn selbst verschmähen sie). Macht sehr viel, wenn man Bauer ist, weil dann die Familie arm ist und arm bleibt. Die Albschwaben haben nun drei Strategien entwickelt, mit dieser Armut umzugehen:
Erstens: Auswandern.
Im vorigen Jahrhundert haben so viele das Land verlassen, dass man weder in Florida noch in San Francisco irgendwo hingehen kann, ohne auf einen Häberle, Pfleiderer, Hailer oder Enderle zu treffen.
Zweitens: Burgen bauen, Kaiser werden und Kriege führen.
Die Schwaben sind eigentlich das friedlichste Volk, dennoch steht bei Hechingen (und damit auch gar nicht unweit von meinem Besuchsziel) die Burg Hohenzollern. Und die Hohenzollern stellten ja die Deutschen Kaiser – die Preussen waren also Schwaben, so wie die Habsburger Schweizer sind. Sie haben die Burg sicher ein paar Male im TV gesehen, wenn über den unsäglichen aktuellen Hohenzollern-Chef berichtet wurde, der, der alles wieder haben will.
Drittens: Erfindungen
Nehmen Sie mal irgendeinen beliebigen Gegenstand in Ihrer Nähe: Die Wahrscheinlichkeit, dass er auf der Schwäbischen Alb erfunden wurde, liegt bei fast 100%.
Aber wir haben abgeschweift. Wir waren ja beim Verwandtenbesuch.
In das Dorf, das ich nun nicht näher benenne, hatte mich eine Verwandte eingeladen. Sie kennen das: Man schreibt sich, man telefoniert, man whatsappt, man SMSt, und stets betont man, dass man sich einmal sehen müsste, und dann kommt dieser wunderbare Dialog:
«Ihr dürft gerne einmal kommen, Ihr seid herzlich eingeladen…»
«Ja, da müssten wir mal schauen. Ihr seid aber auch herzlich eingeladen.»
«Ja, da müssten wir…»
Und es passiert nix.
Und nun hatte ich auf der Karte gesehen, dass wir sehr, sehr, sehr nahe an dem betreffenden Orte waren. Und ich machte Nägel mit Köpfen. Nach dem Motto:
Wann, wenn nicht jetzt – so nahe sind wir nie wieder in den nächsten Jahren.
Warum erklärt man das eigentlich nicht zum allgemeinen Prinzip?
Die Stadtkasse der Gemeinde X hat (warum auch immer) einen Überschuss von 500000 Euro. Und das Dach vom Hallenbad hat zwei grosse Löcher.
Wann, wenn nicht jetzt – so viel Geld hat man nicht so schnell wieder zur Verfügung.
Aber man diskutiert zu lange, und als man endlich entschieden hat, ist das Geld versickert.
Eigentlich sollte die Politikerin Y auf einer Konferenz in Asien sein, die wurde aber wegen Taifun abgesagt. Und sie müsste drei Akten durcharbeiten, um endlich das zu verstehen, wovon sie seit einem halben Jahr redet.
Wann, wenn nicht jetzt – so viel Zeit hat man nicht so schnell wieder zur Verfügung.
Aber natürlich verschwinden die vier Tage in einem grossen, grossen, grossen Schwarzen Loch.
Nein.
Ich habe also Nägel mit Köpfen gemacht und zwei wunderschöne Tage auf der Schwäbischen Alb verbracht.
Und an einem Abend schauten wir alte Fotos an. Mein Lieblings Foto ist eines, auf dem ich mit acht Jahren auf dem Harmonium des Vaters meiner Verwandten spiele.
Mit unmöglicher Fingerhaltung.
Aber ich hatte ja noch Zeit zum Umlernen.
So, am Freitag geht es dann weiter nach Frankfurt.
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