Freitag, 6. September 2024

"Geh doch mal zum Hautarzt!"

Nachdem der Sommer ja zu Beginn ein wenig rumzickte, rumdödelte und sich zierte, ist er nun als Spätestsommer zurückgekommen. Und mit der Rückkehr als Spätestsommer hat er mir die bronzefarbene Haut beschert, auf die ich immer so stolz bin.
Gut, so schwarz wie auch schon bin ich nicht, aber wer mich in der Dusche sieht, erkennt schon einen sehr, sehr, sehr deutlichen Badehosenstreifen.

Wenn ich nun Leute treffe, ist die Reaktion auf meine Bräune zunächst meist freudig überrascht, wenn ich dann aber die Quelle der Bronzefarbe verrate, kippt fast immer die Stimmung. Da ich meine Hautfarbe dem Gartenbad St. Jakob verdanke, löse ich damit Neid aus: Wie kann der da einfach mit einem Teint rumlaufen, der ihn nix gekostet hat (ausser 90 Franken in der Saison für den Eintritt und 120 Franken für die Saisonkabine), während man selber 5000 Stutz für Gran Canaria, Mallorca die Malediven oder Ägypten ausgegeben hat? Und weil man diese Missgunst nicht so direkt äussern kann, weicht man auf eine andere Schiene aus:
«Weisst du eigentlich, wie ungesund das ist? Ich meine, das Sonnenbaden? Hä? Geh doch mal zum Hautarzt!»

Diese Hautarzt-Geschichte ist natürlich hochkarätig unlogisch, denn man selber war ja auch in der Sonne, ja sogar viel in schlimmerer Sonne, nämlich der von Gran Canaria, Mallorca, den Malediven oder Ägypten, nur wurde man eben nicht so braun. Und die Bräune heisst ja auch, dass die Haut viele Pigmente bildet, Pigmente, die ja dann die Haut auch schützen – besser als jede Creme.

«Geh doch mal zum Hautarzt!»
Zurzeit kann ich über diese Bemerkung nur grinsen, denn ich kann dann freudestrahlend antworten, dass ich am 30. 8. 2024 beim Dermatologen war, und dieser mich für 130% gesund und 140% melanomfrei erklärt hat. Und mir weiterhin viel Spass beim Sünnele gewünscht hat. Weil eben – so er – Haut Sonne vertrage oder nicht vertrage und das sei genetisch bedingt.

«Geh doch mal zum…» auch formuliert als «Warst du mal bei…?»
«Lies doch mal…» auch formuliert als «Hast du mal…gelesen?»
«Schau doch mal…» auch formuliert als «Hast du mal…geschaut?»
«Kümmere dich doch mal um…» auch formuliert als «Hast du dich mal um…gekümmert?»

Alle diese Formulierungen – das muss ich sagen, wenn ich ein wenig weiter darüber nachdenke – sind eine riesengrosse Frechheit.
Zunächst sind sie das, weil man ja davon ausgeht, der oder die andere sei noch nie auf die Idee gekommen, die erwartete oder erwünschte Massnahme zu ergreifen. Damit geht eben auch davon aus, dass der oder die andere ein totaler Vollpfosten ist.
Wenn ich jemand, der jeden Tag 8 Stunden in der prallen Sonne liegt, mitteile, er könne mal beim Dermatologen eine Abklärung machen, sage ich ja damit, er oder sie selber sei noch nie auf diesen Gedanken gekommen – nur Idioten sind so doof.
Wenn ich jemand, der mir kommuniziert, er verstünde ein Gerät nicht, die Gebrauchsanweisung empfehle, wie eine unbekannte, total abwegige Lösung, stempele ich ihn oder sie zum Dummkopf – natürlich wurde die Gebrauchsanweisung schon befragt.
Und natürlich hat jeder, der eine Jahreszahl, einen Ort, eine Information sucht, schon das Internet bzw. Google befragt, das vorzuschlagen ist frech, weil die andere Person zu einem weltfremden, dummen, blöden und hinterwäldlerischen Individuum erklärt wird.

Das andere ist der Befehlston. «Geh doch mal zum Hautarzt!», «Lies doch mal die Anweisung!», «Schau doch mal ins Internet!», «Kümmere dich doch mal um deinen Garten!», das ist schon sehr hart, sehr harsch, sehr barsch und vor allem sehr übergriffig. Nicht einmal die eigene Putzhilfe würde man so rüde angehen, nicht einmal den untersten Untergebenen würde man mit so einem Ton beleidigen. Ausserdem geht es den anderen ja nichts an, ob ich meine Wehwehchen zum Mediziner trage, ob ich etwas nachlese oder nicht oder ob ich mich um mein Garten kümmere.

Ich habe aber nun noch eine andere Strategie gefunden:
Wenn ich Menschen begegne, und diese meine Bräune bemerken, wenn diese nachfragen, wie ich zu einem solchen Bronzeton gekommen sei, und ich diese Leute dann frustriere, frustriere mit dem Gartenbad St. Jakob (Kostenpunkt 210,--), während sie sich nach Gran Canaria, Lanzarote, Fuerteventura oder Teneriffa, nach Mallorca, Menorca oder Ibiza, sich auf die Malediven oder nach Ägypten, in die Türkei oder nach Tunesien gequält haben (Kostenpunkt das Zehnfache), während diese Menschen mir nun vorhalten, das sei alles so ungesund und wenn sie den magischen Satz sprechen:

«Geh doch mal zum Hautarzt!»

Dann, ja dann, kontere ich mit meinem Psychiater (den ich nicht habe, aber egal).
Denn in der Psychiatrie und Neurologie wird Sonnenlicht als sehr, sehr heilsam angesehen. Es fördert die Serotoninproduktion und vertreibt jedes My einer Depression.

So viel für heute.
Ich muss noch ein wenig an die Sonne.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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