Kurz vor der Abreise in die Ferien hatte ich einen seltsamen Traum:
Auf der Fahrt nach Stuttgart wurden wir an der Stadtgrenze angehalten. Unsere Ausweise wurden kontrolliert, unser Gepäck wurde durchsucht und wir mussten 5 Fragen beantworten:
Woher kommt der Name «Stuttgart»?
An welchem Fluss liegt (eigentlich) die Innenstadt?
Wie heisst die Hauptkirche?
Was sind die städtebaulichen typischen Dinge der Stadt?
Was wächst auf dem Kriegsberg (100 Meter vom HBF)?
Die Fragen waren für mich als gebürtigen Stuttgarter natürlich leicht:
Der Name kommt von «Stutengarten», weil dort im Mittelalter wirklich ein Gestüt war, davon zeugt auch noch das Rössle im Wappen.
Der eigentliche Fluss ist der Nesenbach. Er ist völlig unsichtbar und zugedeckelt, so wie übrigens in Basel auch der eigentliche Fluss, der Birsig.
Die Hauptkirche ist die Stiftskirche.
Die «typischen Dinger» sind die «Stäffele», die unzähligen Freilufttreppen, die den Menschen vom oberen Rand des Kessels in die Stadt führen.
Auf dem Kriegsberg wächst Wein – auf teuerstem Cityboden. Der Wein ist nicht gut, aber speziell, und er wird an Staatsgäste ausgeschenkt, die sich nicht wehren können.
Nun musste ich aber doch fragen, warum hier solche Dinge gefragt würden. Die Antwort war klar: Mit einem kleinen Test schütze sich die Schwabenmetropole vor Massentourismus. Ob meiner Erwiderung, dass «Massentourismus» für Stuttgart nun doch nicht wirklich ein Problem sei, kam die eindeutige Replik: Wehret den Anfängen. Hätten Venedig und Barcelona schon vor 20 Jahren solche Tests eingeführt, abprüfen, ob jemand, der die Orte besucht, sich über die wichtigsten Dinge informiert hat, ja, dann gäbe es den Millionen Tourismus nicht. Die Massen von Kamera-Trägern, die Massen in schlecht sitzenden Shorts und Tanktops, die Hinter-dem-Guide-hinterher-Dackler wüssten zum Teil gar nicht einmal in welchem Land man sich befinde…
Ich erwachte.
Und ich schlief wieder ein und ich träumte erneut.
Im Traum kam ich in mein Stammcafé, setzte mich an «meinen» Tisch und winkte Bernd, dem Wirt. Das Winken bedeute «Hallo, guten Morgen», aber natürlich auch meine Bestellung, wie jeden Morgen einen doppelten Espresso und ein Glas Mineralwasser. Aber es geschah nichts. «Weisst du», muffelte Bernd auf einmal, «tagaus und tagen bediene ich dich, tagaus und tagein kommst du hierher, hockst dich hin und ich muss dem Herrn bringen, was ihm beliebt und was er wünscht. Ich habe einfach keine Lust mehr, dich zu bedienen, wer fragt denn nach MIR und MEINEN Wünschen? Hä?» Ich war sprachlos. Ich wollte gerade Luft holen, um ihm zu sagen, dass er ja Geld dafür bekomme, dass es sein JOB sei, mich zu bedienen, schliesslich seien wir in einem CAFÉ und da werde man bedient… da erwachte ich.
Träume verarbeiten ja immer das, was man am Abend zuvor erlebt hat und hier musste eine Sendung über die vielen Orte in Europa, die sich gerade dezidiert gegen den Massentourismus wehren, der Auslöser gewesen sein. Die Kanaren, die Balearen, Barcelona, Venedig, Athen und viele andere werden ja den Millionenströmen nicht mehr Herr. Und die Kanaren, die Balearen, Barcelona, Venedig, Athen und viele andere überlegen nun ständig, wie man die Sache angeht.
Venedig hat ein Eintrittssystem probiert, das – nach Aussage der Stadt oberen – ein voller Erfolg ist.
Eine glatte Lüge.
Es ist völlig egal, ob die Lagunenstadt 5 Euro, 10 Euro oder 50 Euro kostet, die Leute strömen trotzdem, vor allem, weil die meisten das in einem Pauschalarrangement eh schon mit bezahlt haben.
Vielleicht wäre hier nun doch ein Abfragen wie im Traum besser. Wer folgende Fragen nicht beantworten kann, darf nicht rein:
Wie hiessen früher die Chefs in der Stadt?
Wie viele Brücken gibt es?
Wie heisst die Friedhofsinsel?
Warum ist es der Markus-Dom?
Wie heisst das berühmteste Café?
(Und bevor Sie jetzt vor lauter Hirnen nicht weiterlesen: Dogen, ca. 400, San Michele, dort liegen seine Knochen, Florian – übrigens extrem witzig, dass die Lagunenstadt genauso viel Brücken hat wie meine Heimat Stäffele…)
Der andere Traum muss natürlich auch bedacht werden: Die Kanaren, die Balearen, Barcelona, Venedig, Athen und viele andere haben sich in jahrelanger Mühe den Tourismus aufgebaut, weil sie davon leben wollten – und jetzt davon leben. Wenn die Ströme nicht mehr strömen, dann sind die Kanaren, die Balearen, Barcelona, Venedig, Athen und viele andere zunächst einmal pleite. Genauso wie es der Job eines Wirtes ist, Menschen einen Kaffee zu servieren, ist es der Job eines Fremden-Führers Fremde durch die Stadt zu führen, der Job einer Souvenir-Händlerin Souvenirs zu verkaufen und der Job eines Hoteliers Leute zu beherbergen. All das geht nur mit Auswärtigen; welche Venezianerin lässt sich durch die Stadt führen und belehren, welcher Venezianer braucht Erinnerungen an seine eigene Stadt? Und niemand übernachtet im Hotel in seiner eigenen Stadt – es sei denn, die Partnerin oder der Partner hat ihn oder sie rausgeschmissen.
Wie viele Probleme ist dieses also auch zweischneidig. Man will Touristen. Aber nicht so viele. Am besten wenige, die sehr, sehr, sehr interessiert sind und gleichzeitig auch viel zahlen. Also Leute wie den Herrn Geheimrat, gebildet und vermögend. Einziger Nachteil an Goethe: So Menschen schreiben dann über das Land und ziehen dann wieder mehr Leute an.
Es bleibt vertrackt.
Ich jedenfalls bin froh, dass ich die Kanaren, die Balearen, Barcelona, Venedig, Athen und viele andere Orte schon gesehen habe. Als es noch leerer war.
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