Ich schaue das heute journal.
Das tue ich manchmal. Im heute journal kommt viel Politik, ein wenig Sport und das Wetter. Und gelegentlich auch Kultur. Was hilfreich sein kann, wenn z. B. über Vermeer geredet wird und man am nächsten Tag noch Tickets ergattern kann. Heute kommt aber keine Ausstellung, heute kommt der
Pop-Literat
Der Pop-Literat hat ein Buch geschrieben.
Das tut er manchmal. Sonst macht er Fernsehen, aber nicht bei «heute», sondern in einem eigenen Format. Aber an diesem Abend stellt er eben im heute journal sein Buch vor. Sein Buch ist ein Schlüsselroman, es ist ein Metoo-Roman, und der Pop-Literat ist sehr begeistert davon. Im Beitrag redet der Pop-Literat an einer Tour (ist das Pop?), er raucht permanent wie ein Schlot und auf eine aufdringliche Weise (wohl auch Pop?), er trinkt Wasser und schenkt sich während des Lesens ein Glas ein (sicher Pop?) und er bewegt seine Arme und Hände hektisch und fuchtelnd (kann man auch hier von Pop sprechen?).
Jedenfalls macht er mir nicht besonders Lust auf sein Buch.
Ich schaue Kulturzeit
Das tue ich manchmal. Die Kulturzeit ist eine Gemeinschaftssendung von ARD, ZDF, ORF und SRF und wird auch von Moderatorinnen aus allen Ländern gemacht. (Ja, die weibliche Form! Ohne Gendergap! Es ist praktisch kein Mann dabei…) Die Kulturzeit berichtet auch über gesellschaftliche Themen, aber vor allem über Oper, Konzerte, Filme, Bücher, Ausstellungen. Was hilfreich sein kann, wenn z. B. über den neuen Ring des Nibelungen geredet wird und man am nächsten Tag noch Tickets ergattern kann. Heute kommt aber kein Wagner, heute kommt der
Pop-Literat.
Der Pop-Literat hat ein Buch geschrieben.
Das tut er manchmal. Sonst macht er Fernsehen, aber nicht bei der Kulturzeit, sondern in einem eigenen Format. Aber an diesem Abend stellt er eben in der Kulturzeit sein Buch vor. Sein Buch ist ein Schlüsselroman, es ist ein Metoo-Roman, und der Pop-Literat ist sehr begeistert davon. Im Beitrag – es ist übrigens derselbe wie im heute Journal – redet der Pop-Literat an einer Tour (das ist Pop), er raucht permanent wie ein Schlot und auf eine aufdringliche Weise (das ist wohl auch Pop), er trinkt Wasser und schenkt sich während des Lesens ein Glas ein (das ist sicher Pop) und er bewegt seine Arme und Hände hektisch und fuchtelnd (man kann auch hier von Pop sprechen).
Jedenfalls macht er mir nicht besonders Lust auf sein Buch.
In der Kulturzeit kommen nun noch zwei Beträge.
Erst kommt die
Literaturkritikerin
Die Literaturkritikerin redet 10 Minuten um den heissen Brei herum. Was sie eigentlich sagen will, ist, dass das Buch des Pop-Literaten ein schlechtes Buch ist. Ein Buch, das man nicht lesen sollte. Aber so eindeutig kann sie das natürlich nicht sagen, denn es ist ja
ein Buch des Pop-Literaten,
ein Buch, das sogar im heute Journal kommt
ein Schlüsselroman
ein Metoo-Roman
Aber wer zwischen den Zeilen lesen kann – also eigentlich bei den Einatmern hören – der versteht es: Das ist ein nicht so gutes Buch.
Der Titel kann ja auch so oder so gelesen werden: Die Frage «noch wach?» könnte ja auch an den Leser oder die Leserin gerichtet sein, der oder die bei der Lektüre eingeschlafen ist…
Und dann kommt noch – ist das nun Zufall oder nicht, ist das redaktionelle Wurstigkeit oder gerade redaktionelles Interesse? – ein Beitrag über inklusives Theater in den Münchner Kammerspielen. Es kommt die
Schauspielerin mit Beeinträchtigung
Die Schauspielerin mit Beeinträchtigung ist eine faszinierende Person. Sie spielt gerade die Antigone, und wenn man ihrem Spiel zusieht, ist man hin und weg. Nicht die Heroine alter Zeiten, nein, eine Frau, die leidet und liebt (und auch lacht!). Im Interview bewegt die Schauspielerin mit Beeinträchtigung nur manchmal ihre Hände und Arme so komisch…
Und nun begreift man: Die Pop-Literatur des Pop-Literaten ist auch etwas wie ein Inklusionsprojekt. Vielleicht nicht ganz, vielleicht eher so etwas wie die Art Brut, bei der es ja um Kunst psychisch Beeinträchtigter ging und geht, denn eines ist klar: Der Pop-Literat hat einen an der Waffel.
Werde ich das Buch lesen?
Vielleicht ja, um mitzureden. Vielleicht nein. Vielleicht warte ich auf den Metoo-Roman von der Personengruppe, die solche Bücher schreiben sollten:
Frauen.
P.S.
Die Idee mit den abgesetzten Berufsbezeichnungen ist von Sybille Berg. Danke dafür!
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