Frau Prof. Dr. Anne-Dorothea Meyer-Bodenfeld hat seit 2017 den Lehrstuhl für molekular-systemische Festbiologie an der Hochschule in Düsseldorf inne. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, was molekular-systemische Festbiologie ist, Frau Professor hat mir zwei Stunden lang probiert zu erklären, was sie in der molekular-systemische Festbiologie macht, ich habe es nicht verstanden. Darum wird es heute aber auch überhaupt nicht gehen.
Es geht um Frau Prof. Dr. Anne-Dorothea Meyer-Bodenfeld als Person. Sie ist – wer würde es anders erwarten – hochmotiviert, rational und rationell, wissenschaftlich denkend und super organisiert. Meyer-Bodenfeld ist im IT-bereich genauso fit wie in ihrer Biologie und spricht – selbstverständlich – fliessend und akzentfrei Englisch.
Es gibt in diesem glatten, technischen und fast harten Bild von ihr nur ein kleines Detail, das nur ganz wenig Leute kennen: In ihrer Aktentasche befindet sich ganz, ganz, ganz, ganz, ganz unten ein kleiner rosa Stoffteddy. Dieser Stoffteddy, er heisst Louis-Justus (nach Pasteur und Liebig, aber das haben Sie wahrscheinlich gemerkt) und ist ihr persönlicher Talisman. Wenn Frau Prof. Dr. Anne-Dorothea Meyer-Bodenfeld nun einen sehr wichtigen Termin hat, zum Beispiel ein Treffen mit Sponsoren, dann nimmt sie (in einer unbemerkten Minute) Louis-Justus aus der Tasche und streichelt ihn.
Dr. Klaus-Michael Müller-Trutzburg ist Leiter der Abteilung Musik im Feuilleton einer grossen deutschen Tageszeitung. Er hat über das Spätwerk von Gustav Mahler promoviert und mehrfach über Schoenberg veröffentlicht. Durchs seinen Job ist Müller-Trutzburg aber nicht nur im Fin de Siècle zuhause, nein, er kann genauso eine Harnoncourt- von einer Christie- oder Kujiken-Aufnahme unterscheiden, ist aber auch beim Eclat in Stuttgart oder in Donaueschingen anzutreffen. Geschenkt, geschenkt, dass auch die Pressekarten für die Premieren in Bayreuth und Salzburg auf seinem Schreibtisch liegen.
Seine Texte sind fachkundig, geschliffen und nehmen Bezug auf viele künstlerische, literarische und philosophische Seitenstränge. Aber auch das Faktische ist seine Sache, weh dem Tenor, der das g`` in der Bildnis-Arie verwackelt, weh dem Pianisten, der die Anfangs-Tonleitern bei Beethoven Nr. 3 verhudelt!
Es gibt in diesem glatten, feuilletonistischen und fast harten Bild von ihm nur ein kleines Detail, das nur ganz wenig Leute kennen: Er hat eine alte Musikkassette mit Musikstücken, die er gerne hört – was er sich aber nur traut, wenn er ganz, ganz, ganz, ganz, ganz alleine ist. Darauf befinden sich unter anderem Roland Kaisers «Santa Maria» und die «Südböhmische Polka» der Egerländer Musikanten.
Bernd und Luisa führen einen perfekten Haushalt. Sie haben die Aufgaben genau aufgeteilt: Luisa kocht und macht die Wäsche, Bernd putzt und macht den Einkauf. Ordnung halten sie beide. Und zwar wirklich Ordnung, es fährt nichts rum, es liegt nichts herum und jederzeit könnte ein Fotograf oder eine Fotografin von «Schöner Wohnen» anrücken.
Ja, könnte er, es sei denn…
es sei denn…
es sei denn…
Es sei denn, dieser Fotograf, diese Fotografin würde in die Speisekammer schauen. Dort würde er oder sie einen Ort des Grauens antreffen. Die Speisekammer ist einerseits dreckig, der Boden ist voller Krümel und die Gestelle sind mit zentimeterdickem Staub belegt. Andererseits ist das Räumchen völlig durcheinander und kruschtelig. Dosen stehen zwischen Tüten und Flaschen stehen zwischen Boxen. Dazu kommt: 30% der Lebensmittel sind abgelaufen, das Highlight ist eine Kekspackung aus dem Jahre 1999, also aus dem vorigen Jahrhundert, ja, aus dem vorigen Jahrtausend.
Was sind das für Sachen?
Warum hat Frau Prof. Dr. Anne-Dorothea Meyer-Bodenfeld, die oberseriöse Biologin einen Talisman-Teddy namens Louis-Justus?
Warum hört Dr. Klaus-Michael Müller-Trutzburg, der kulturbeflissene und oberphilosophische Leiter des Musikfeuilletons, heimlich Schlager und Volkstümliche Musik?
Warum ist die Speisekammer in dem sonst überpeniblen Haushalt von Bernd und Luisa ein solcher Ort des Grauens?
Weil wir alle eine kleine Stelle in unserem Leben brauchen, an der wir nicht perfekt sind, an dem wir unsere Prinzipien mit den Füssen treten, eine Stelle, an der wir abergläubisch sind und allen guten Geschmack über Bord werfen, an der wir die Sau rauslassen und uns das genehmigen, was wir niemandem sonst durchgehen liessen.
Und warum brauchen wir das?
Weil wir sonst wahnsinnig werden.
Kein Mensch kann immer nur perfekt, geordnet und hochstehend sein.
Geht nicht.
Aber: Diese Stelle zeigen wir niemandem. Niemandem. Keiner Seel auf diesem Erdenrund. Sie ist unser Rückzugsort, geheim und verborgen.
Und das wird er auch bleiben.
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