Ich war neulich zur Hochzeit meines Urgrossneffen Paul in Grossheimen-Schwarzbach, einer mittleren Stadt im Ruhrgebiet, eingeladen. Und da ich ja Urlaub hatte, plante ich nicht nur eine Übernachtung, sondern drei ein, dies ermöglichte mir einen Besuch in der örtlichen Galerie, das Anhören einer Aufführung von Musik der 2. Wiener Schule und (Sie ahnen es längst, Sie wissen es, ich muss gar nichts sagen…) den Besuch des Hallenbades.
Nun arbeitet Paul – wie seine Verlobte Rina – in der Werbung.
Und wenn man in der Werbung arbeitet, dann muss alles ein wenig schicker und hipper sein wie bei anderen Leuten, nur nicht normal und nur nicht gewöhnlich. So fand die Trauung in einem stillgelegten Wasserwerk statt, die Trauung ebenso wie der Apéro und das Essen. Eine witzige Location, die viel Platz bot, die einzelnen Abschnitte vorzubereiten und sich bei den Beiträgen auch akustisch als sehr angenehm erwies.
Der Predigttext war übrigens (Sie ahnen es längst, Sie wissen es, ich muss gar nichts sagen…) Johannes 4, 5-42, Jesus und die Frau am Brunnen, der Text, in dem Jesus über das «Wasser des Lebens» redet.
Weil Paul und Rina in der Werbung arbeiten, und weil da alles ein bisschen hip und schick ist, hatten sie auch keine gewöhnlichen Hotels organisiert. Ich war im Art-Hotel untergebracht, einem renovierten und umgebautem Stahlwerk, in dem jedes Zimmer anders gestaltet war. Das Besondere war, dass die tonnenweisen Reste, die man vor der Renovation vorgefunden hatte, zu Kunstwerken umgeschweisst worden waren, von denen in jedem Zimmer eines stand.
In Raum 103, in dem ich logierte, war das ein grosser Vogel aus Stahlblech, der an der Decke schwebte, ein wenig kitschig, ein wenig gewollt, aber was soll`s, das Bett war hervorragend und das Frühstücksbuffet sucht seinesgleichen.
Am nächsten Tag nun der Weg in die Galerie. Ich war nun nicht wenig erstaunt, dass auch die Städtische Galerie sich in einem Altindustriebau befindet, sie hat sich in einem E-Werk aus den frühen 50er Jahren etabliert.
Ich versuchte mich auf die Bilder (vor allem regionale Maler des 19. und 20. Jahrhunderts, sowie eine Ausstellung eines jungen Schwarzbacher Fotografen) zu konzentrieren, ich wurde aber von den rostigen Rohren und unverputzten Wänden sehr abgelenkt, und zwar nicht, weil sie so daneben waren, sondern weil ich seit dem vorherigen Tag nichts anderes als rostige Rohre und unverputzte Wände gesehen hatte und sie mich zu stören begannen.
Auch das Konzert am Abend (Sie ahnen es längst, Sie wissen es, ich muss gar nichts sagen…) fand nicht in klassisch-normalem Ambiente statt. Ich hätte mir für Schoenberg, Berg und Webern etwas Jugendstilmässiges, eventuell auch Gründerzeit gewünscht, oder sogar noch älter, ich fand mich aber in einem stillgelegten Hallenbad der 60er wieder, natürlich wieder Rohre, rostig, mehr als in den anderen Etablissements, wenig Unverputztes, dafür aber Kacheln, weiss, blau und schwarz, die meisten beschädigt und vergilbt.
Nie konnte ich mich weniger auf Pierrot Lunaire und die Variationen op.27 konzentrieren, einfach, weil das Gebäude in mir einen Brechreiz verursachte, den ich kaum unterdrücken konnte.
Vor der Abreise am nächsten Tag dann noch der Schwimmbadbesuch. Auch hier wieder (Sie ahnen es längst, Sie wissen es, ich muss gar nichts sagen…) Enttäuschung. Das Schwimmbad war in einer stillgelegten Eisengiesserei von 1880.
Hier war ich nun völlig vor den Kopf gestossen, denn wieso legt man das 1960 erbaute Städtische Hallenbad trocken und macht dann in einem Gebäude von 1880 ein Bad auf, während man das eigentliche Hallenbad für Konzerte nutzt?
Auf der Heimfahrt von Grossheimen-Schwarzbach via Essen, Köln und Frankfurt versuchte ich, ein Wort zu finden, das diese Tage beschreibt. Ich brauchte eine Weile, aber dann war es da.
Gleichförmig.
Gleichförmig, ja diese Tage waren in der ewigen Wiederholung gleichförmig gewesen, mit dem Hotel, das eigentlich ein Stahlwerk, der Trauungslocation, die eigentlich ein Wasserwerk, dem Museum, das eigentlich ein E-Werk, dem Konzertsaal, der eigentlich ein Hallenbad und dem Hallenbad, das eigentlich eine Giesserei sein sollte…
Gleichförmig.
Und das, obwohl doch alles so hip, so aufregend, so besonders, so speziell, so extravagant sein will.
Aber es ist doch nun mal so: Wenn alle Ausstellungen nicht mehr in Galerien stattfinden, dann ist die EINE, die es wieder tut, wahnsinnig modern. Wenn alle Konzerte nicht mehr in Konzertsälen stattfinden, ist das eine, das eben doch dort erklingt, wahnsinnig aufregend. Und in 10 Jahren wird eine Hochzeit in einer Kirche und im Nebenzimmer des Goldenen Ochsen das Hippeste sein, was es gibt.
Ich war neulich zur Hochzeit meines Urgrossneffen Paul in Grossheimen-Schwarzbach eingeladen. Und da ich ja Urlaub hatte, plante ich nicht nur eine Übernachtung, sondern drei ein, dies ermöglichte mir einen Besuch in der örtlichen Galerie, das Anhören einer Aufführung von Musik der 2. Wiener Schule und den Besuch des Hallenbades. Und dieser Aufenthalt hat mein Verlangen nach Eisenrohren und unverputzten Wänden für 30 Jahre gestillt.
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