Wieder einmal ein kleines Quiz. Von wem sind diese Zitate?
Solange die Menschen nicht alle ihre Mitmenschen als Brüder und das Leben nicht als das heiligste aller Güter betrachten, werden sie immer um des persönlichen Vorteils willen das Leben anderer zerstören.
Die meisten Menschen, die man böse nennt, wurden deshalb so, weil sie ihre schlechte Laune für einen berechtigten Zustand ansahen.
Nur die Liebe vermag alle Knoten zu lösen.
Sie sind von Leo Tolstoi. Diesen Utopisten, Radikalchristen und Pazifisten sollten Sie unbedingt einmal wieder lesen – vor allem das Spätwerk. Und das zweite Zitat passt doch voll auf Putin…
Ach…
Nee…
Sie haben tatsächlich alle russische Kultur aus Ihrem Leben verbannt?
Nun sehen Sie, wie blöde das war.
Es war nicht nur blöde, es war das Dümmste, was Sie jemals gemacht haben.
Jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit Gergiev. Natürlich boykottiere ich Gergiev. Aber ich tue das schon seit 15 Jahren. Und nicht, weil er Putin recht gibt, sondern weil ich als Schwuler Homophobe boykottiere. Meine Güte! Es gibt im Bereich Kunst und Kultur so viele Menschen, die ein weites Herz haben und alles, was L, B, T, Q, S, U, Y, X oder Z ist, gut finden. Da muss ich mir Valery wirklich nicht antun. Zumal er nicht nur verbohrt, sondern auch schrecklich verlogen ist, denn natürlich ist die Hälfte seines Ensembles schwul oder lesbisch, das kann er leugnen und bekämpfen, es bleibt trotzdem so – und jedem einzelnen Balletttänzer kann er ja nicht den KGB auf den Hals hetzen.
Nein, Gergiev ist kein Thema.
Aber gehen wir die Sache mal von einer anderen Seite an.
Stellen Sie sich vor, die deutschen Studenten hätten 1967 beschlossen, amerikanische Kultur zu boykottieren. Und zwar in Globo. Dann hätten sie sich natürlich auch von so einem widerlichen Anlass wie Woodstock abgewandt und hätten niemals diese schreckliche Musik gehört. Joan Baez, Jimmy Hendrix, Joe Cocker, igitt, igitt…
Das ist unvorstellbar, gell? Es ist deshalb unvorstellbar, weil man ja wusste, dass viele amerikanische Künstler eben gegen den Krieg waren.
Nun müssen wir aber doch systematischer vorgehen. Ich schlage eine Vierteilung vor:
a) lebende Künstler, die für Putin und den Krieg sind
b) lebende Künstler, die gegen Putin und den Krieg sind
c) tote Künstler, die für Putin und den Krieg wären
d) tote Künstler, die gegen Putin und den Krieg wären
So. Und nun sehen Sie, wie schwierig das ist. Schon a) und b) zu trennen, ist sehr kompliziert. Da gibt es z.B. Mascha Karpow, die während einer Schweiz-Tournee gerne ihren Hass auf das ganze Kreml-Gesocks herausschreien würde, dann aber gar nicht probieren muss, zu ihrer Stelle am Konservatorium Kirow zurückzukehren. Wird aber Mitteleuropa ihr genügend Konzerte und Schüler bieten, um nicht zu verhungern? Abgesehen von ihrer 85-jährigen Mutter, die sich ja auch noch mit durchfüttert…
Bei den toten Malern, Musikern und Schriftstellern wird es ganz unmöglich. Wäre XY gegen Putin und gegen die russische Expansion gewesen? Ja, wie soll man das beantworten? Eine Seance veranstalten? Spiritistisch die Leute aus den vergangenen Jahrhunderten holen? «Lieber Anton, bist du für oder gegen Putin?» «Lieber Igor, was sagst du zur Ukraine?» Das ist lächerlich.
Gut, ich glaube Tolstoi, der am Ende seines Lebens sogar noch mit Gandhi korrespondierte, wäre nicht auf der Kremlseite gewesen. (Er wäre sicher auch gegen Schwere Waffen für die Ukraine gewesen, aber lassen wir das…)
Und der zurzeit Meistgecancelte, Meistgescholtene, Prügelknabe und Hassobjekt?
Nun, Tschaikowski, eben jener meistgecancelte, meistgescholtene, Prügelknabe und Hassobjekt, ist für viele zum Inbegriff des Russischen, der russischen Kultur und der russischen Seele geworden. Und dabei warf man ihm gerade vor, dass er eben das gerade nicht sei: Russisch. Also, «man», die Über-Russischen um Rimsky-Korsakoff, die Novatoren, das «Mächtige Häuflein», die zogen gegen ihn und sein westliches Komponieren zu Felde.
Ein Freund hat gerade sämtliche Gegenstände aus seinem Haushalt entfernt, deren Design schwarze Quadrate, schwarze Kreise oder schwarze Dreiecke enthält, weil Teller und Tassen, Decken oder Kissen mit schwarzen Quadraten, schwarzen Kreisen oder schwarzen Dreiecken ja stark an Malewitsch erinnern. Dabei hat das russische Regime seit Stalin ja ein eher gespaltenes Verhältnis zur Russischen Avantgarde…
Und nun mache ich mir ein Tässchen Tee. Ich bin zwar eigentlich Kaffeetrinker, aber die Leute von gegenüber haben gerade ihren Samowar vor die Türe gestellt.
Und beim Teetrinken werde ich ein wenig Tolstoi lesen.
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