Dienstag, 7. September 2021

Special Fragen (7): Gibt es noch Fragen?

Sie alle kennen die Situation: Man hat einen Vortrag gehört, ein Referat, eine Rede, ca. 90 Minuten lang, der Redner oder die Rednerin kommt zum Schluss und sagt den wunderbaren Satz: „Sie dürfen jetzt noch Fragen stellen.“ Oder sie oder er formuliert das als Frage, also als die Frage-Frage: „Hat noch jemand Fragen?“ Oder man geht in den Konjunktiv: „Jetzt wäre noch Zeit für Fragen.“

Wie dem auch sei, es gibt nun drei Reaktionsmöglichkeiten, die komischerweise alle etwas mit Wald zu tun haben:
a) Der Saal ist ein Wald aus Händen
b) Die Waldschrate mit ihren Zetteln erheben sich
c) Der Wald steht schwarz und schweiget.

Zu a): Ein Vortrag, ein Referat, eine Rede bei dem oder der so viele Fragen entstehen, war schlecht. Diesen Satz postuliere ich jetzt einfach mal so, nicht als Frage, sondern als These, ich stelle ihn in den Raum, ich lege ihn aufs Tapet: Ein Vortrag, ein Referat, eine Rede bei dem oder der so viele Fragen entstehen, war schlecht. Es sollten ja am Ende von Rede und Vortrag Fragen geklärt sein, man sollte Wissen und Informationen erhalten haben, man sollte sich fühlen wie nach einem guten Essen, nach dem man ja auch nicht einfach weiterisst. Nach ein paar Tagen Nachdenken, nach ein paar Nächten drüber schlafen, da kommen die Fragen – aber doch nicht sofort. Direkt am Ende sollten die Fragen geklärt sein.

Ich erinnere mich an einen solchen Händewald am Ende eines Vortrags zum Thema Musik. „Brauchen wir Musik?“ hatte der Titel gelautet und ein schwäbischer Chorpapst hatte versucht, diese Frage zu beantworten. Nein, hatte er eben nicht. Er hatte eigentlich zum Thema „Brauchen wir schwäbischen Chorpapst?“ geredet und hatte DIESE Frage mit einem klaren und eindeutigen, mit einem bewussten und postulierten Ja beantwortet. Der Wald von Händen hatte nun noch Fragen zur Musik, da der schwäbische Chorpapst ja nur über schwäbischen Chorpapst gesprochen hatte…

Zu b): Die Waldschrate. Die Waldschrate haben sich in ihrer Waldhöhle gut vorbereitet. Sie haben Zettel genommen, haben Fragen aufgeschrieben, und nun kommt ihre grosse Stunde. Die Waldschrate stehen auf und sagen den unheilvollen Satz: „Ich habe noch ein paar Fragen.“ Wobei "paar" stets mehr als 10 meint. Die Waldschrate haben die folgenden zwei Eigenschaften:
Sie hören sich selbst gerne reden.
Sie halten sich selbst für die eigentlichen Experten.
So stellen sie eigentlich gar keine Fragen, sie korrigieren, erläutern, sie legen dar und verbessern, bei dem Musik-Vortrag wird der Waldschrat z.B. sofort sagen, dass er auch Flöte spielt (oder Geige, oder Klavier).

Ich bin einmal um so eine Waldschrätin herumgekommen. Ich konnte zu einem Elternabend nicht kommen, um mein Fach Singen & Musik vorzustellen. Am nächsten Tage sagte mir der Klassenlehrer, eine Mutter habe einen ganzen Katalog von Fragen gehabt, und sie sei sehr traurig gewesen, weil ich nicht da war und sie diese Fragen nicht stellen konnte. Ich bot dem Kollegen an, meine Nummer weiterzugeben, die Dame könne mich jederzeit anrufen.
Natürlich…
Natürlich…
Natürlich habe ich nie etwas von ihr gehört, ohne das Publikum, ohne die Menge, ohne eine Zuhörerschaft machte es gewiss keinen Spass, die Fragen zu stellen. Sie hatte ausschliesslich sich produzieren wollen, ein Telefonat mit mir hätte ihr keinen Spass gemacht. (Und ich bin mir sicher, der Satz „ich spiele ja auch Flöte“ wäre drin vorgekommen.

Zu c): Nach meinem obigen Postulat müsste c) ein Zeichen für einen guten Vortrag, ein gutes Referat, eine gute Rede sein. Ganz so ist es aber auch nicht. Wenn NIEMAND etwas fragt, wenn GAR KEINE Frage auftaucht, wenn die Masse schweigend dasitzt und zu Boden starrt, hat das nur einen Grund: Man hat den Apéro schon gesehen.
Der Apéro.
Für viele Menschen ist der Apéro der einzige Grund, zu einer Veranstaltung zu gehen, für viele ein Mitgrund, einen Vortrag oder eine Vernissage zu besuchen. Die gleichen Leute hatten in den goldenen Zeiten Aktien verschiedener Grossfirmen, als jene Grossfirmen reichhaltigen Apéro anboten und nicht einfach ein Sandwich beim Eingang verteilten. (Diese Einzelaktien wurden von Bankern übrigens Fress&Sauf-Aktien genannt, echt wahr.)
Apéro also.
Wenn man vor dem Vortrag, vor der Rede, wenn man vor dem Referat schon den Fendant oder den Sauvignon, wenn man den Riesling oder den Pinot Grigio gesehen hat, wenn man erspäht hat, welch herrlichen Schinken und welch delikaten Käse es gibt, wenn man gemerkt hat, welche Köstlichkeiten auf einen warten, dann ist natürlich jeder Gedanke an eine Frage ein schlimmer Gedanke.
Nein, wenn GAR KEINER fragt, dann sind die Hirne und Gedanken nur noch mit Schinkengipfeli erfüllt.

Sie alle kennen die Situation: Man hat einen Vortrag gehört, ein Referat, eine Rede, ca. 90 Minuten lang, der Redner oder die Rednerin kommt zum Schluss und sagt den wunderbaren Satz: „Sie dürfen jetzt noch Fragen stellen.“ Oder sie oder er formuliert das als Frage, also als die Frage-Frage: „Hat noch jemand Fragen?“ Oder man geht in den Konjunktiv: „Jetzt wäre noch Zeit für Fragen.“

Haben Sie noch Fragen? Keine?
Gut, aber den Apéro müssen Sie sich selber holen.

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