Dienstag, 31. August 2021

Special Fragen (5): Stellt keine Fragen, auf die wir lügen müssen!

Wir haben gelernt, dass bestimmte Dinge sehr unhöflich sind: Furzen, Rülpsen, explosionsartiges Niesen, donnerndes Husten, Reden mit vollem Mund usw.
Was aber die wenigsten begriffen haben, ist, dass auch die Reaktion auf oder das Auslösen von solchen Dingen sehr unhöflich ist.

Beispiele?

Stellen Sie sich vor, bei Ihrem Stehempfang lässt einer der Gäste einen fahren, und zwar richtig laut und richtig stinkend, was tun Sie? Sie tun gar nichts. Zur Etikette gehört, dass man solche Fauxpas einfach ignoriert, und zwar vollständig und komplett. Stellen Sie sich vor, beim Galadiner entfährt der Dame gegenüber ihre Luft in die andere Richtung, so im Sinne von „Hoppla, sprach das Kotelett, da bin ich wieder!“ – was tun Sie in diesem Fall? Das Gleiche. Nix.

Umgekehrt ist es natürlich auch unhöflich, Verhalten auszulösen, das dann wieder unhöflich ist. Wenn Sie mit jemandem vor einem alten Bücherregal stehen, dann ziehen Sie bitte kein Buch heraus und blasen den Staub weg. Der andere wird heftig, widerlich und stark, wird elefantig und explosionsartig niesen.
Und wenn Ihr Gegenüber sich gerade Fleisch, Gemüse und Nudeln in den Mund gestopft hat, dann sprechen Sie es nicht an, sonst bringen Sie es dazu, mit vollem Mund so etwas wie „knnnjetzetnchhchschprchn“ hervorzubringen.

Wir haben gelernt, dass bestimmte Dinge sehr unhöflich sind: Furzen, Rülpsen, explosionsartiges Niesen, donnerndes Husten, Reden mit vollem Mund usw.
Was aber die wenigsten begriffen haben, ist, dass auch die Reaktion auf oder das Auslösen von solchen Dingen sehr unhöflich ist.

Auch Lügen ist unhöflich. Sehr sogar.
Dann ist es aber auch unhöflich, Fragen zu stellen, auf die wir lügen müssen.

Nehmen wir nur einmal die Buchfrage: Immer wieder werde ich gefragt, was ich gerade lese. Eine Frage, auf die ich sicher keine ehrliche Antwort gebe. Keine ehrliche Antwort, denn meine Leseliste enthält sowohl literarisch hochstehende als auch zweifelhafte Bücher, sowie einige Romane, die irgendwo dazwischenstehen. Wenn nun mein aktuelles Buch ein Krimi von Ingrid Noll ist, das Buch davor eine Erzählung von Anette Pehnt und das Buch vor der Pehnt ein Roman von Heinrich Mann, was werde ich nehmen? Sicher nicht Noll, ich werde zwischen Pehnt und Mann schwanken, und wahrscheinlich dann den Heinrich wählen.
Ganz sicher, totsicher, tötestsicher werde ich niemals ehrlich sagen, was ich gerade lese.

Aber wir müssen gar nicht so weit gehen. Schon die Frage nach dem Ergehen, nach dem Befinden, dem Wohlbefinden, nach dem Zustand von Leib und Seele, die berühmte Frage „Wie geht es?“ zwingt einen ja meistens zum Lügen. Denn schon die Frage enthält ja eine Lüge, nämlich die Lüge, dass es den anderen interessiert. Also sagen wir „gut“, auch wenn das ja so in der Regel nicht stimmt.

Seit wir mit dem Handy zugange sind, wissen wir nicht mehr genau, in welcher Situation und an welchem Ort wir den anderen oder die andere antreffen. Früher war das klar: Wir wussten oft, wo das Telefon in der anderen Wohnung stand, und konnten uns alles vorstellen: Die andere Person sass auf dem grünen (dem blauen, dem roten) Sessel und hatte auf dem Tischchen daneben einen Drink (Zigaretten und Aschenbecher, Schokolade etc.) parat.
Heute ist das alles schwieriger und deshalb stellen wir dem oder der anderen zwei Fragen:
„Wo bist du?“
„Was machst du gerade?“

Und damit wird die andere Person natürlich extrem oft zum Lügen gezwungen. Und ich gehe jetzt gar nicht von der ganz obszönen Variante aus, bei der wir sagen müssten: „Ich bin gerade im Chez Paola und lasse mir von Lola die Brust lecken.“ Nein, es gibt viele Orte und viele Tätigkeiten, bei denen wir lügen müssten:
Wenn wir uns im Wellnessbad räkeln und das warme Wasser geniessen, obwohl wir den ganzen vorigen Tag gejammert haben, wir „hätten so viel zu tun“.
Wenn wir ständig bei BURGER KING® sitzen und Whopper und Pommes in uns hineinstopfen, obwohl alle uns als Gesunde-Ernährung-Apostel kennen.
Wenn wir im Solarium sind, obwohl wir immer behaupten, dass unsere Bräune echt sei…

Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen.

Wir haben gelernt, dass bestimmte Dinge sehr unhöflich sind: Furzen, Rülpsen, explosionsartiges Niesen, donnerndes Husten, Reden mit vollem Mund usw.
Was aber die wenigsten begriffen haben, ist, dass auch die Reaktion auf oder das Auslösen von solchen Dingen sehr unhöflich ist.
Auch Lügen ist unhöflich. Sehr sogar.
Dann ist es aber auch unhöflich, Fragen zu stellen, auf die wir lügen müssen.

Hat Ihnen der Post gefallen?
Nein, dass ist nicht unhöflich, ALLEN gefällt JEDER Post von mir, also muss auch niemand lügen.





 

 

 

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