„Berlin oder Dorf.“
Das sagt mein Kumpel Ulff (ja, mit zwei f) auf meine Frage hin, wie ich endlich ein richtiger Schriftsteller werde, „Berlin oder Dorf.“ Und Ulff mit zwei f fügt dann noch hinzu, dass mir ansonsten grosse Wahlmöglichkeiten blieben, Berlin könne Kreuzberg ODER Prenzelberg ODER Neukölln sein, einfach was Mittiges, nicht etwa Spandau oder Köpenick, viel zu weit weg, nein Mitte oder Kreuzberg, ganz drin im Geschehen, beim Dorf wäre es egal, völlig wurscht, ob ich auf 3000 Meter ins Engadin ginge oder an die friesische Küste, ob irgendwo in die Eifel oder in die Lüneburger Heide, einfach kleines Kaff mit viel Land drumrum. Aber: Berlin oder Dorf müsse sein, alle angesagten Schriftsteller wohnten Berlin oder Dorf, ich müsse nur einmal die Klappentexte lesen, da stehe stets: Berlin oder Dorf.
Gut. Das war eine klare Antwort. Witzig war, dass Ulff mit zwei f nicht nachgefragt hatte, was ich mit einem richtigen Schriftsteller meine, das war Ulff mit zwei f völlig klar, ja Ulff mit zwei f und ich wissen beide, dass zu einem Schriftsteller die Trias Verlag/Lektor/gedrucktes Buch gehört. Nur mit Verlag/Lektor/gedrucktes Buch bist du richtig, gewürdigt, anerkannt, nur mit Verlag/Lektor/gedrucktes Buch gehörst du zum Kreis der richtigen Schriftsteller, nur mit Verlag/Lektor/gedrucktes Buch bist du dabei.
Dabei spielt es keine Rolle, ob du mit deinem Geschreibe Geld verdienst oder überhaupt gelesen wirst. Das beides könnte ich bieten, immerhin lesen pro Tag ca. 70 Menschen einen Text von mir, hier, eben hier, wo Sie auch gerade lesen, und dazu kommen die Newsletter, Werbetexte und Einladungen, die ich für meinen Arbeitgeber verfasse, und – das ist das Schönste – dafür bekomme ich auch noch Geld. Ja, ich bekomme als „Assistent der Geschäftsleitung“ Kohle, eben dafür, dass ich schreibe, gut, manchmal setzt man meiner Phantasie arge Grenzen, zum Beispiel bei Protokollen, aber immerhin. Und neulich hatte ich durch Glosse und Arbeitgeber sogar einen anderen bezahlten Auftrag…
Aber was mir fehlt ist halt Verlag/Lektor/gedrucktes Buch. Nur mit Verlag/Lektor/gedrucktes Buch wäre ich richtig, gewürdigt, anerkannt, nur mit Verlag/Lektor/gedrucktes Buch gehörte ich zum Kreis der richtigen Schriftsteller, nur mit Verlag/Lektor/gedrucktes Buch wäre ich dabei.
Berlin oder Dorf also. Dorf oder Berlin. Kreuzberg oder Vogelsberg, Friedrichshain oder Friesland, Wedding oder Watt…
Also Dorf hatte ich ja schon einmal. War nicht so meine Sache. Ich meine, es ist toll, wenn man weiss, dass man nicht tot umfallen kann, weil man bemerkt wird, aber man wird halt immer bemerkt. Die Nachbarn wissen, wann du aufstehst, wann du ins Bett gehst, wer zu Besuch kommt und wer über Nacht bleibt, sie kennen dein Auto und deine Freunde und deine Gepflogenheiten. Man kann es positiv als Fürsorge und negativ als völlige Überwachung sehen.
Und die Aufgaben und Tugenden des Landlebens sind auch nicht so mein Ding. Ich bin kein Gemüsegärtner, jede Art von Nutzpflanze gelingt mir nicht, mein Salat schiesst, meine Zucchini verdorren und meine Tomaten werden nicht rot. Meine Bäume tragen nicht. Das ist jetzt bei einem kleinen Stadtgarten von 30 qm kein Problem, aber auf dem Dorfe würde das schon blöd aussehen. Aber auch wenn die Pflanzen alle kämen, der Salat buschte, die Zucchinis reiften und die Tomaten karminfarben würden und auch die Bäume trügen, dann hätte ich tonnenweise Zeug zu verarbeiten, wäre nur am Einkochen, Einmachen, Konservieren und Entsteinen und ich habe sicher Besseres zu tun.
Und die Tiere, ach, die Tiere! Hühner und Schafe finde ich doof, vor Kühen und Pferden habe ich Angst und gegen Katzen und Hasen bin ich allergisch. Nur ein grosser Hund, das wäre ein gutes Ding…
Nein, von der Idee des Landlebens verabschiede ich mich schnell, dazu kommt noch, dass ich nicht gerne Auto fahre, und dass auf vielen Dörfern die ÖV-Frequenz nicht so hoch ist. (In Deutschland manchmal sogar Null).
Dann also Berlin. Wäre gar nicht so schlecht, ich bin ein halber Berliner, mein Exfreund wohnt da, es hat ÖV (viel, viel!), es hat Kultur, es hat Leben und Charme. Allerdings würde ich ja nicht an die Spree, um mich dann ablenken zu lassen, sondern um zu arbeiten. Und: Ist es ratsam, mit einem unsicheren Job in eine Stadt zu ziehen, in der gerade die Miete durch alle Decken rasen? In der mir dann der Immobilienmakler empfiehlt, in einen der benachbarten Kreise zu ziehen, Havelland, Oberhavel oder Barnim, nach Märkisch-Oderland, Oder-Spree oder Dahme-Spreewald, nach Teltow-Fläming oder Potsdam-Mittelmark, aber wenn ich nach Havelland, Oberhavel oder Barnim, nach Märkisch-Oderland, Oder-Spree oder Dahme-Spreewald, nach Teltow-Fläming oder Potsdam-Mittelmark (die Namen sind nicht erfunden!) ziehe, dann ist das eben Land und Dorf und…
Siehe oben.
Nein, wahrscheinlich bleibe ich da wohnen, wo ich wohne, und verzichte auf den Dreischritt Verlag/Lektor/gedrucktes Buch, denn auch ohne die Trias Verlag/Lektor/gedrucktes Buch habe ich ja meine Leser und verdiene sogar Geld.
„Berlin oder Dorf.“
Das sagt mein Kumpel Ulff (ja, mit zwei f) auf meine Frage hin, wie ich endlich ein richtiger Schriftsteller werde, „Berlin oder Dorf.“
Und ich stelle meine Ohren auf Durchzug und lasse ihn reden.
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