O weh! Diesen Post hätte ich vor dem anderen bringen müssen, denn Weihnachten fällt ja aus. Aber er ist zu schade zum Wegwerfen, ich bringe ihn dennoch:
Mein Freund Paul hat einen tollen Job. Er macht Backgroundchor-Texte. Er arbeitet für alle grossen Studios und Produzenten der Welt, er verdient eine Menge Geld und hat schon eine Villa in Malibu und eine in Davos. Und wenn Sie jetzt sagen, er tue eigentlich nichts, dann irren Sie sich gewaltig. Es ist nämlich ganz entscheidend, ob bei einem Song wie Love, Love and Nothing but Love die Backvocals
oo – aa – oo – aa – oo
oder
aa – oo – aa – oo – aa
oder gar
ooa – ooa – ooa – ooa - oooooo
singen.
Das macht nämlich einen ganz anderen Eindruck, eine ganz andere Atmosphäre und das Texten dieses Backgrounds braucht viel Musse und Fingerspitzengefühl.
Zu den grossen Erfolgen Pauls gehört der Background von Roy Orbisons Only the Lonely, jene Zeile, die Sie sicher im Ohr haben:
Dum-dum-dum-dumdy-doo-wah
Aber auch der Geniestreich mit dem Background von Games without Frontiers von Peter Gabriel war seine Idee. Viele konnten die von Kate Bush geträllerte Zeile nicht verstehen, die meisten hörten
She`s so frontious
aber das Adjektiv existiert im Englischen nicht. Man war auch in der völlig falschen Sprache. Frau Bush sang nämlich auf Französisch das Gleiche wie Herr Gabriel auf Englisch:
Jeux sans frontières
Manchmal ruft mich Paul an, wenn er einen Rat braucht. So auch neulich. Sein Problem war das folgende: Er brauchte einen guten Background-Text für eine Neuaufnahme mit Video von Silent Night, gesungen zu der jeweils dem Wort Night entstehenden Dreischlagnote und er schwankte zwischen den Varianten
shoo – shoo – ba – shoo
gloom – glam – glam – gloom
und
shei – raa – lei – shee
Ich kramte ein wenig in meinem Gedächtnis: Am 24. Dezember 1818 führten die Autoren Gruber und Mohr das Lied als Duett mit Gitarre zum ersten Mal auf, in der Dorfkirche von Oberndorf (Salzburg), das ist wohl Fakt, dass sie das taten, weil eine Maus die Orgelschläuche kaputtgebissen hatte, ist nur eine Legende, aber eine schöne.
Auf jeden Fall: Ein einfaches Lied, ein schlichtes Lied, und so riet ich Paul, die Backvokalisten doch einfach nur summen zu lassen, bocca chiusa, wie der Fachmann sagt.
So einfach sei das nicht, so Paul, der Backgroundtext müsse auch zur Location des Videos passen. Und diese Location wurde mir als Lobby eines Hotels beschrieben, bestückt mit folgenden Dingen:
Drei grosse Nordmanntannen, 5 Meter gross und drei Meter breit, behängt mit Goldkugeln und Goldlametta
Zehn Adventskränze mit Silberkerzen, mit violetten, roten, blauen und grünen Kugeln bestückt
Fünf Kunststoffschneemänner, über und über mit Silberstaub besprüht
Zwanzig Mistelzweige von allen Decken und Türöffnungen hängend
Ich kann es mir vorstellen.
Und mir graust es.
Manchmal wäre doch weniger mehr. Manchmal wäre es doch schön, bei der Advents- und Weihnachtsdekoration nicht zu übertreiben. Zum Beispiel einen Adventskranz mit schlichten weissen Kerzen und sonst nichts und an den Fenstern je einen Herrnhuter Stern. Aus und Ende.
Jetzt werden Sie einwenden: «Ja, aber EINMAL im Jahr darf doch ein bisschen Kitsch sein, EINMAL im Jahr darf man doch ein wenig zu viel an Silber, Gold, ein bisschen too much an Flitter und Flatter und Glitzer und Glotzer, an Weihnachten darf es doch nun wirklich kitschen und klatschen…»
Aber, ich bitte Sie!
Inzwischen kitscht es doch das ganze Jahr. Wir starten mit geschmacklosen Schweine- und Schornsteinfegerfiguren, hässlichen Hufeisen und kitschigen Kleeblättern, um uns dann über den Valentinstag (rote Herzen! rote Herzen! rote Herzen! rote Herzen!) zum Karneval durchzuarbeiten, bei dem sowieso jeder Geschmack abhandenkommt, dann ist ein wenig Ruhe, bis an Ostern wieder alle Dämme mit Goldeiern und lila Hasen brechen. Im Sommer verschicken wir Postkarten mit fotoshopblauen Stränden und im Herbst dann solche mit fotoshopbunten Blättern und selbst Allerheiligen, das früher noch einigermassen seriös war, ist inzwischen eine Orgie von widerlichen Kerzen und übertriebenen Gestecken.
Nein. Weihnachten braucht nicht kitschig zu sein, das ganze Jahr ist es inzwischen. So könnte gerade Weihnachten ja eine kitschfreie Zone werden.
Ich habe Paul vorgeschlagen, mit mir ein Video zu machen, das in einer schlichten Dorfkirche die Originalversion von Stille Nacht zeigt, und er wählt einen ganz schlichten Backgroundtext. Das Angebot mit dem Kitschvideo soll er ablehnen, mit seinen 30 Millionen auf dem Konto kann er sich das leisten. Allein für eine Variante des Dum-dum-dum-dumdy-doo-wah bekam er 2000000.—
Dieses ist nämlich auch von ihm:
Weine nicht, wenn der Regen rinnt
damm damm – damm damm
Hier ist einer, der zu dir hält
damm damm – damm damm
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